Gebildete Kindheit

Handbuch der Bildungsarbeit im Elementarbereich

 

2.1 Methoden der Bildungsarbeit

Selbstbildung kann nur dort in Gang kommen, wo Wahrnehmungen, Antriebe, Interessen und Fragen der Kinder angesprochen und sie angeregt werden, ihnen nachzugehen. Ausgangspunkt aller Bemühungen um frühe Bildung wird deshalb immer die aktuelle Situation der Kinder sein müssen. Oder nach der bekannten Formel von Maria Montessori: Das Kind ist dort abzuholen, wo es steht.

Das heißt nicht, dass man dort stehen bleibt. In ihren täglichen Erlebnissen, in ihrer Umwelt begegnen Kinder ständig neuen Herausforderungen und unerwarteten Situationen. Indem sie damit fertig werden, entwickeln sie Selbstbewusstsein und erweitern ihre Fähigkeiten. Auch in den Einrichtungen dürfen und sollen sie herausgefordert werden, sind sie mit neuen Aufgaben und ungewohnten Themen zu konfrontieren. Nur dass die Fachkräfte sie möglichst so anlegen werden, dass sie für die Kinder gut zu bewältigen sind und zu Erfolgserlebnissen führen.

Ebenso wichtig ist, dass die Fachkräfte einbringen, was sie für wesentlich halten. Wie alle Pädagogik beruht Bildungsarbeit auf Kommunikation, und das bedeutet, dass sich beide Seiten einbringen. So wichtig es ist, von der überkommenen Position abzugehen, in der Pädagogen Kinder aufgrund ihres überlegenen Wissens unterweisen, genauso entscheidend ist, dass sie mit ihren Interessen und Neigungen nicht hinter dem Berg halten, d.h. sich mit ihrer gesamten Person beteiligen, was auch die eigenen Einsichten, persönliche Überzeugungen und Gefühle einschließt.

Zumutung von Themen

Die Kinder mit Themen in Berührung zu bringen, die Ihnen als Erzieherinnen wichtig sind, sich diesen Themen, Bildungsgegenständen, Kulturgütern planvoll gemeinsam mit den Jungen und Mädchen zuzuwenden, darum geht es bei der "Zumutung von Themen". Bleiben die Erzieherinnen dabei stehen, die Themen aufzugreifen, die Kinder aus ihrer eigenen Erfahrungswelt mit in die Kindertageseinrichtung bringen oder die sie dort aus eigener Kraft entwickelt haben, dann bleibt vieles ausgespart, was Bildungsherausforderung sein und die Neugier und den Forschergeist der Kinder wecken kann. Auch wäre die Chance vertan, den Kindern Bereiche unserer Kultur zu eröffnen, denen sie in ihrer häuslichen Umgebung und ihrem Freundeskreis vielleicht nicht begegnen (Laewen/Anders 2002, S. 127).

Kind ist jedoch nicht gleich Kind. Kinder unterscheiden sich voneinander nach den Erfahrungen, die sie bisher in Elternhäusern und ihrer Umgebung gemacht haben, den Anlagen, die sie mitbringen, und der Förderung, die sie erhalten haben. Wenn wir davon ausgehen, dass jedes Kind eine eigenständige Weise entwickelt, sich seine Welt zu konstruieren, seine Erfahrungen zu verarbeiten und sich darüber selbst zu bilden, wird es "das Kind" nicht mehr geben. Die Fachkräfte haben ihre Bemühungen auf die Kinder auszurichten, die sie vor sich haben.

Versucht man dennoch, allgemeine Grundzüge der kindlichen Entwicklung und der kindlichen Bemühungen zu beschreiben, in ihrer Welt zu handeln und sie zu verstehen, muss man sich darüber im Klaren sein, dass damit nur Durchschnittswerte angegeben werden, dass Kinder dabei mehr oder weniger über einen einheitlichen Kamm geschoren werden müssen. Tatsächlich kann sich jedes einzelne Kind in beträchtlicher Abweichung vom Durchschnitt entwickeln.

Ausgangspunkt: Fragen und Interessen der Kinder

Mit dieser Einschränkung im Hinterkopf können wir fragen, worauf sich die Interessen "des Kindes" richten, worin sie sich zu behaupten und ihr Selbstbewusstsein zu sichern suchen.

  • Da es Kindern in diesen Jahren in erster Linie um die Ausbildung von Beziehungen und die Kommunikation geht, in denen sie sich realisieren, richtet sich das kindliche Interesse darauf, soziale Situationen zu verstehen und darüber befriedigende Beziehungen zu den Menschen ihrer Umgebung herzustellen.
  • Zweitens erproben Kinder ihre körperlichen Fähigkeiten, suchen sie ständig zu erweitern und bilden über diese Versuche eine Vorstellung von sich selbst und ihrem Handlungsspielraum aus, konstruieren also handelnd das, was wir als "Selbstbild" bezeichnen.
  • Drittens suchen sie aufgrund von Beobachtungen und Erfahrungen Schlüsse auf die Struktur der sozialen und materiellen Umwelt zu ziehen, daraus erfolgreiche Handlungsweisen abzuleiten und sie als Handlungsmodelle für vergleichbare Situationen zu speichern, diese Modelle in der Vorstellung zu verändern und sie abgewandelt wieder anzuwenden. Sie suchen damit die Wirksamkeit ihres Handelns auszuloten und zu erweitern.
  • Viertens schließlich geht es darum, unausgelebte und unauslebbare Emotionen in der Vorstellung zu "verwirklichen", sie im Spiel und in Phantasien auszugestalten, und damit gleichfalls eine "Lösung" für den Zwiespalt zwischen diesen Emotionen und ihrer Blockierung in der sozialen Umwelt zu finden (wodurch die eigene Innenwelt ausgebildet und ausdifferenziert wird).

Wie Bildungsangebote anzulegen sind

Für alle Aktivitäten, die Prozesse der Selbstbildung ermöglichen und unterstützen wollen, ist darauf zu achten, dass sie verschiedene Ebenen kindlicher Weltaneignung miteinander kombinieren und damit ein ganzheitliches Erfassen erlauben:

  • Ausgangspunkt wird immer die sinnliche Wahrnehmung sein müssen, die zu einer körperlichen, sozialen oder handwerklichen Tätigkeit führt und sich mit ihr verbindet.
  • Diese Tätigkeit ist dann in Gespräch, Diskussion und Erklärung sprachlich zu begleiten, in künstlerischen Aktivitäten zu gestalten und nach Möglichkeit durch Anschauungsmaterial (Bilder/ Bücher/ Medien) zu ergänzen. Dabei wird die Aufmerksamkeit geschärft, Beobachtungen und Erklärungen können bewusst verarbeitet und dauerhaft behalten werden.
  • Die über Sprache, Anschauung und Gestaltung vermittelten Zusammenhänge sind dann wieder in Tätigkeit umzusetzen, seien es soziale oder handwerkliche Aktivitäten oder symbolische Handlungen in Spiel und Erzählung.

Was in der Kombination von körperlicher Tätigkeit, bildlicher Vorstellung und sprachlicher Formulierung erarbeitet wurde, hat die besten Aussichten, als verlässliche, abrufbare und veränderbare Modellbildung verfügbar zu bleiben.

Die Verbindung von Bewegung, Tätigkeit, Kommunikation und sprachlicher Durchdringung ist keineswegs nur eine Forderung, die sich aus unserer Kenntnis der Verarbeitung kindlicher Erfahrungen herleiten lässt. Wir können sie vielmehr in den spontanen kindlichen Tätigkeiten selbst beobachten, vielleicht am deutlichsten in den Rollenspielen, die von Kindergartenkindern unermüdlich in Szene gesetzt werden. Wir finden sie aber auch bei den spielerischen Versuchen wieder, mit denen sie ihre Beweglichkeit testen und erweitern, oder in den Konstruktionsspielen, die fast immer von dichter Kommunikation zwischen den Spielenden und von Spielphantasien begleitet sind. Wir finden sie ebenfalls in der Art, wie Kinder ihr soziales Milieu erkunden, neue Verhaltensweisen durchspielen oder wie sie ihre materielle Umwelt erforschen, indem sie damit hantieren, neue Betätigungen erproben und darüber deren Eigenschaften verstehen lernen.

Bildungsanlässe

Bildungsarbeit bedeutet, Situationen aufzugreifen oder anzulegen, die diese ganzheitliche und umfassende Aneignung der Umwelt ermöglichen. Die Gelegenheiten, aktives und selbsttätiges Lernen herauszufordern, sind breiter gestreut, als sie im allgemeinen wahrgenommen werden. Prinzipiell kann man unterscheiden zwischen

  • dem punktuellen und spontanen Eingehen auf Beobachtungen, Fragen und Untersuchungen, die Kinder bei ihren Aktivitäten machen,
  • und geplanten, von den Fachkräften vorbereiteten gemeinsamen Aktivitäten, wie Projekten, Exkursionen, etc.

Die lehrreichen Bildungssplitter

Die Eindrücklichkeit, mit der gelegentliche und ungeplante Handgriffe, Einfälle, Erklärungen sich Kindern einprägen, wird meist unterschätzt. Sie bilden Partikel, die sich an bereits Vorhandenes anlagern, einen neuen Knoten im wachsenden Netz kindlicher Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse knüpfen. Sie befördern jene Art der Wissenserweiterung, die wir als "natürliches Lernen" bezeichnet haben, und die überall dort erfolgt, wo zufällige Informationen oder beiläufig gefundene Problemlösungen bewusst wahrgenommen und festgehalten werden. Es sind solche Wissenspartikel, die Kinder auch sonst aus ihrer Umgebung aufnehmen und sich ihren Reim darauf zu machen suchen. Sie stellen eine ganz entscheidende Quelle kindlicher Selbstbildung dar.

Die Fachkräfte in den Einrichtungen können diese Form natürlichen Lernens unterstützen. Ihre Aufgabe liegt darin, solche Situationen im Augenblick zu erkennen und für Hilfestellungen, Aktivitäten und Erklärungen zu nutzen, ohne dass sie darüber lange nachdenken oder sich vorbereiten können. Dabei kommt es darauf an, den Kindern die Beobachtungen oder spontan gefundenen Lösungen bewusst werden zu lassen, damit sie dem überlegten Können und Wissen zugänglich werden und verfügbar bleiben. Vor allem in den Zeiten, in denen Kinder ihren spontanen Beschäftigungen nachgehen wie dem Freispiel, ergeben sich immer wieder Situationen, in denen ihnen ein helfender Handgriff oder ein weiterführender Hinweis hilft, ihre Absichten umzusetzen, und bei denen sie solche Eingriffe auch gerne akzeptieren. Die Hilfe sollte ihnen aber angeboten und unterlassen werden, wenn sie abgelehnt wird. Auch ist es sinnvoller, sich dann an den kindlichen Aktivitäten zu beteiligen, statt nur Erklärungen oder Belehrungen von sich geben.

Dieses unterstützende Mitmachen erfordert die aufmerksame Beobachtung, um geeignete Gelegenheiten zu erkennen. Solange die Bildungsarbeit nur auf vorbereitete Bildungsangebote gerichtet ist, werden Situationen leicht übersehen werden, die spontanes Unterstützen der kindlichen Weltaneignung ermöglichen.

Diese Befähigung zu einer "Situationspädagogik" im eigentlichen Sinn des Wortes wird noch kaum reflektiert oder als Methode beschrieben. Sie bietet viele brauchbare Anstöße für eine wirksame Bildungsarbeit. Im übrigen können sich aus solchen Einzelaktivitäten Fragen oder Ideen entwickeln, die den Ausgangspunkt für vorbereitete Bildungsangebote abgeben.

Zu den Methoden

Bildungsangebote, die von den Fachkräften organisiert werden, werden einem methodischen Verfahren folgen, nach dem Planung, Durchführung und Auswertung ausgerichtet werden. Diese Verfahren werden im Folgenden nicht umfassend angeführt und besprochen. Die Darstellung beschränkt sich auf die Methoden, die dem hier zugrunde gelegten Ansatz entsprechen, kindliche Selbstbildung durch pädagogische Arbeit zu unterstützen. Das sind der sogenannte "Situationsansatz", das Projektverfahren sowie die besondere Ausprägung, die es in Reggio Emilia erfahren hat.

Diese Beschränkung bedeutet nicht, dass andere Verfahren nicht auch im Sinne kindlicher Selbstbildung genutzt werden könnten. Bei curricularen Ansätzen hängt das dann von der Weise ab, in der sie von den Fachkräften angelegt werden. Aus Bildungsplänen und Curricula der Frühpädagogik können Arbeitsvorschläge oder Experimente in Bildungsangebote eingefügt werden und darüber gezielt Wissen vermittelt werden, das für die Aktivitäten des Projektes benötigt wird.

W.E.Fthenakis/ M.R.Textor (Hg.): Pädagogische Ansätze im Kindergarten, Weinheim 2000

Theoretisch orientierte Diskussion verschiedener Ansätze zur Bildungsarbeit im Elementarbereich

Norbert Huppertz: Konzepte des Kindergarten: Lebensbezogener Ansatz, Situationsansatz. Sozialistische Pädagogik, Reggiopädagogik, Oberried 2000

Aufsätze zu den im Titel genannten methodischen Ansätzen

2.1.1 Zum Situationsansatz

Die Wurzeln des "Situationsansatzes" reichen in die Debatte um den "Bildungsnotstand" zurück, der dem westdeutschen Bildungssystem nach dem "Sputnikschock" attestiert wurde.

Ähnlich wie heute wurde damals vom Deutschen Bildungsrat gefordert, den Elementarbereich in die Bildungsbemühungen einzubeziehen, mit der Absicht, die "Begabungsreserven" zu aktivieren, die in den Kindern sozial schwacher Schichten ruhten. Insoweit herrschte Einigkeit, unklar war, wie das zu geschehen hatte. Eine der Bildungspolitik nahestehende Strömung dachte an eine altersgemäße Vorverlegung schulischer Fächer. (In manchen Ländern wurden daraufhin Vorschulklassen eingerichtet). Über geeignete didaktische Programme und Materialien sollten Fähigkeiten schon frühzeitig geschult werden, die das Kind auf die Schule vorbereiteten und den Schulerfolg sicherstellten. Diese didaktischen Spiele versprachen Grundlagen von Mengen und Größen, erste Kenntnisse von Buchstaben und Zeichen und dergleichen vermitteln, Fähigkeiten, die man inzwischen als "Vorläuferkompetenzen" bezeichnen würde.

Eine andere Strömung setzte auf die "kompensatorische Erziehung": Arbeiterkinder sollten die Gelegenheit bekommen, die aus ihrer sozialen Lage bedingten "Sozialisationsdefizite" aufzuholen, indem sie in den Einrichtungen die sozialen und sachlichen Erfahrungen geboten bekamen, die besser gestellte Kinder in den Elternhäusern machten. Sie würden dann mit der gleichen Startchance in die Schule kommen.

Die aus der Studentenbewegung hervorgegangenen antiautoritären Kinderläden widersetzten sich diesen "technokratischen" Lösungen. Die Kinder sollten nicht fremden Leistungsanforderungen unterworfen werden, sondern sich in einem repressionsfreien Raum zu autonomen, selbstverantwortlichen Bürgern entwickeln können. Sie sollten frühzeitig die gesellschaftlichen Verhältnisse kennen lernen und sich darin behaupten können. Alle pädagogische Arbeit war auf "soziales Lernen" gerichtet. In den "proletarischen Kinderläden" wurde daraus die Entwicklung von "Klassenbewusstsein".

Die von den Elterninitiativen ausgehenden Impulse wurden im sogenannten "Situationsansatz" weiterentwickelt und mit wissenschaftlichen Ergebnissen begründet.

Ausrichtung des Situationsansatzes

Seit seiner Verbreitung in den 80er Jahren hat sich der Situationsansatz in der deutschen Frühpädagogik weitgehend durchgesetzt und stellt das methodische Verfahren dar, das auf die eine oder andere Weise in vielen Einrichtungen praktiziert wird. Die Bezeichnung wirkt etwas sperrig, besagt aber im Prinzip, worum es geht: Als Gegenentwurf zur mechanischen und von kindlichen Interessen und Erfahrungen abgekoppelten Durchführung von Beschäftigungen oder didaktischen Programmen entwickelt, geht der Situationsansatz vom Grundsatz aus, pädagogische Aktivitäten an der aktuellen Lebenssituation der Kinder auszurichten. Fördermaßnahmen, die von außen herangetragenen Leistungszielen dienen, werden verworfen und stattdessen gefordert, alle pädagogische Arbeit mit den alltäglichen Erfahrungen der Kinder zu verbinden.

Die Ziele situationsorientierter Bildungsarbeit lassen sich knapp in drei Punkten skizzieren:

  • Alle Tätigkeiten und Gegenstände, die in den Einrichtungen behandelt werden, sollen von der kindlichen Erfahrung ausgehen und deshalb für die Kinder einsehbar und sinnvoll sein.
  • Sie sollen ihnen helfen, sich in ihrer gegenwärtigen Lebenssituation zurecht zu finden und in ihr handlungsfähig zu werden.
  • Sie sollen darüber gleichzeitig Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt bekommen, die sie auch für zukünftige Anforderungen wappnet.

Der Vorzug gegenüber curricularen Verfahren, die Tätigkeiten, Stoffe und Wissensvermittlung ohne Rücksicht auf kindliche Erfahrungen vorsehen, liegt darin, dass Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen sich aus den Anforderungen ergeben, die ein Ereignis oder ein anstehendes Problem stellen. Die Lebensnähe spricht das Interesse und die Einsicht der Kinder an, sie können Fähigkeiten erwerben, die sie in ihrem Lebensumfeld stärken und selbstsicherer machen, und Zusammenhänge verstehen, die ihre Beobachtungen und Fragen beantworten.

Vorgehen nach dem Situationsansatz

Der Bezug auf die aktuelle Lebenssituation geht in zwei Richtungen: Gemeint sind sowohl Situationen, mit denen Kinder gerade beschäftigt sind wie auch solche, die für ihr Hineinwachsen in die Gesellschaft als wichtig betrachtet und deshalb von den Fachkräften angesprochen werden. Tätigkeiten oder Zusammenhänge, die für die Qualifizierung der Kinder für notwendig gehalten werden, werden allerdings erst dann zur Sprache gebracht, wenn sie im Erleben der Kinder, in ihren Spielen oder Gesprächen auftauchen. Die Fachkräfte beobachten die Kinder und warten ab, bis sich ein situativer Anlaß findet, der die Einführung eines Themas ermöglicht. Aus den vielen in Frage kommenden Situationen wählen die Fachkräfte in der Diskussion untereinander und möglichst auch mit den Eltern, diejenigen aus, die sie als exemplarische "Schlüsselsituationen" betrachten.

Diese Situationen werden im realen Lebensumfeld erprobt und dafür angemessene Verhaltensweisen und brauchbares Wissen erworben. Zugleich wird das Spiel als wichtige Form der Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt einbezogen und Bedingungen geschaffen, die den Kindern ermöglichen, voneinander und unabhängig von den Erziehenden zu lernen.

Der ständige Bezug auf Lebenssituationen der Kinder und ein Lernen im sozialen Umfeld erfordert, dass sich die Einrichtung nach außen zu ihrer Umgebung hin öffnet, den Kindern Erfahrungen im gesellschaftlichen Umfeld ermöglicht werden und sie letzten Endes an der Gestaltung des Gemeinwesens mitzuwirken lernen.

Alle sachlichen Themen und Gegenstände werden als eingebettet in soziale Bezügen betrachtet und innerhalb sozialer Lebenssituationen behandelt.

Die vier Schritte des Situationsansatzes

Im ersten Schritt wird eine Situation aufgespürt und im Dialog mit anderen Menschen untersucht, also eine Situationsanalyse vorgenommen. Diese Untersuchung führt zu einer kleinen Theorie über die Situation. (....)

Der zweite Schritt besteht in der Überlegung, was an dieser Situation unter pädagogischen Gesichtspunkten wichtig ist, welche Anforderungen die Situation an Kinder stellt, welche Qualifikationen von Bedeutung sind, um in ihr handlungsfähig zu werden.(...) Der zweite Schritt besteht mithin in der Formulierung von Zielen: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sind wünschenswert? Was wollen wir erreichen? Wohin soll die Reise gehen? (...)

Im dritten Schritt sind viele pädagogische Einfälle gefragt. Durch welche Aktivitäten, durch welche Lernerfahrungen lassen sich diese Qualifikationen fördern und Kompetenzen erwerben? Wie kann man jenes forschende, entdeckende Lernen ermöglichen und Kinder anregen, Probleme, wenn's geht, selber zu lösen, Barrieren selber zu überwinden und möglichst mit Vergnügen die Welt zu erschließen? (...)

Im vierten Schritt geht es darum, Erfahrungen auszuwerten und zu überlegen, wie es weitergehen könnte. (Zimmer 2000, S. 27/28).

Der kritische Punkt des Situationsansatzes

Bezogen auf die mit dem Ansatz geforderte situative Pädagogik zeigt der Situationsansatz, wie er von seinen Erfindern definiert wurde, einige Schwachpunkte:

  • Einmal hängt die Entscheidung für ein Thema fast ausschließlich davon ab, ob es die Fachkräfte für relevant halten. Aktivitäten, Wünsche, Anregungen von Kindern werden darauf hin gefiltert, ob sie nach Ansicht der Fachkräfte für die sozialen Lebensbezüge der Kinder von Bedeutung erscheinen.
  • Daraus ergibt sich die Gefahr, dass die Fachkräfte die Situation zum Anlass nehmen, Themen und Gegenstände in der Weise zu behandeln, wie sie es für angemessen halten, ohne noch ausreichend Rücksicht auf und Rücksprache mit den Kindern zu halten. Jede schematische Durchführung wird aber den Bildungseffekt beeinträchtigen.
  • Da alle Sachthemen prinzipiell stets im Kontext sozialer Erfahrungen behandelt werden sollen, drohen Wahrnehmungen, Interessen und Neigungen von Kindern übergangen zu werden, die die Fachkräfte nicht unter dem Stichwort "Soziales Lernen" einordnen können oder wollen.
Themen der Kinder?

Die Entscheidung für die gesellschaftlich definierten Schlüsselsituation als Ausgangspunkt für eine Bestimmung von Erziehungszielen und zur Konkretisierung von relevanten Themen, die an das Kind herangetragen werden sollen, ermöglicht zwar die "Zumutung von Themen", jedoch nicht mehr die Interpretation der Antwort des Kindes darauf. (...)

Worum es hier geht, ist, dass der Situationsansatz für den umgekehrten Weg, vom Kind zur gesellschaftlichen Ebene, für das Auffinden von Themen der Kinder und ihre Beantwortung durch die Erzieherin, kein vergleichbar systematisch ausgearbeitetes Verfahren zur Verfügung stellt.(...) Soweit zu erkennen ist, wird in keiner vergleichbaren Weise systematisch nach Themen der Kinder gesucht, die dann ihrerseits, ohne dass zunächst ein Bezug zu einer gesellschaftlich definierten Schlüsselsituation hergestellt wäre, zum Ausgangspunkt von auch länger andauernden Projekten werden könnten (Laewen/Anders 2002, S. 236/237).

Das "Curriculum Soziales Lernen"

Diese Schwächen werden durch die Einheiten, die nach dieser Methode vom Deutschen Jugendinstitut als "Curriculum Soziales Lernen" entwickelt wurden, eher noch verstärkt. Die umfangreichen Sammlungen von Material und pädagogischen Anwendungen zu typischen Situationen sozialen Lernens erleichtern die Vorbereitung der Fachkräfte und geben viele wertvolle Anregungen. In der praktischen Anwendung besteht jedoch die Gefahr, die Materialien nicht mehr nur als Vorschläge zu betrachten, die nach den Erfahrungen der Kinder auszurichten und gemäß den eigenen Bedingungen abzuwandeln sind, sondern sie als feste Lehrpakete einzusetzen.

Das kann dann dazu führen, situative Anlässe als Aufhänger zu benutzen, um ein geeignetes Lernpaket aufzuschnüren. Wenn die Durchführung nicht offen genug gehandhabt wird, ergibt sich ein weiteres Problem: Zwar sieht der Ansatz vor, die Kinder ständig an den vorgesehenen Aktivitäten zu beteiligen, aber das Lehrpaket selbst lässt nicht ohne weiteres zu, dass Kinder eigene Wege gehen und sich aus Umwegen neue Perspektiven und Aktivitäten ergeben.

Die angemessene Umsetzung der Einheiten setzt also ein hohes Engagement und eine phantasievolle Anpassung an die eigene Situation voraus. Eine sinnvolle Anwendung der Einheiten fordert von den Fachkräften große Beweglichkeit und ständigen Rückbezug auf die Reaktionen und Äußerungen der Kinder. Sie unterscheidet sich dann allerdings nicht mehr grundsätzlich von der Projektmethode.

Mit der nötigen Offenheit angewendet, bietet der Situationsansatz jedoch gute Voraussetzungen vor allem für jene Bereiche, die im weiteren Verständnis unter das soziale Lernen fallen. Da stets der Bezug zur kindlichen Lebens- und Erfahrungswelt gehalten wird, eignet er sich hervorragend für Aktivitäten, die Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge vermitteln und die die Handlungsfähigkeit der Kinder im gesellschaftlichen Umfeld stärken.

Da Sachbezüge nur im Rahmen sozialen Lernens berücksichtigt werden, werden individuelle Interessen und Neigungen von Kindern, die sich nicht in soziale Bezüge einordnen lassen, leicht übergangen. Da er auf ein Lernen in der Gruppe ausgerichtet ist, werden individuelle Lernfortschritte weniger gefördert.

Jürgen Zimmer: Das kleine Handbuch zum Situationsansatz, Weinheim 2000

Knappe und praxisnahe Darstellung der Prinzipien und Verfahren des Situationsansatzes

M. Dittmann (Hg.): Werkstatt Situationsansatz in der Kindergartenpraxis. Ein Arbeitsbuch, Weinheim 2000

Praktische Anwendung des Situationsansatzes mit Beschreibungen von Projekten zu bedeutsamen Lebenssituationen von Kindern

Curriculum Soziales Lernen: Didaktische Einheiten für den Kindergarten, Deutsches Jugendinstitut, München 1980

Insgesamt 10 Einheiten mit Bild- und Tonmaterial zu sehr alltäglichen Themen und Erfahrungen der Kinder: Kindergarten und Schule/ Wohnen/ Feste/ Große und kleine Kinder/ Ausländische Kinder/ Krankenhaus/ Medien/ Spiel/ Märchen/ Familie.

Hedi Colberg-Schrader/ Marianne Krug: Lebensnahes Lernen im Kindergarten: Zur Umsetzung des Curriculums "Soziales Lernen", München 1980

Hilfen zur Anwendung der Einheiten des Curriculums

2.1.2 Zur Projektarbeit

Die sogenannte "Projektarbeit" sieht im Prinzip eine größere Offenheit im Vorgehen vor. Hier werden alle Schritte gemeinsam beschlossen, neue Themen eingeführt, Untergruppen gebildet oder auch einzelnen Kindern gestattet, abweichende Wege zu gehen. Für Aktivitäten, in denen es um die forschende Erkundung von Sachthemen geht, bietet dieses Verfahren wohl meist die besseren Voraussetzungen.

Die Methode geht schon auf das Ende des 19. Jh.s zurück und wurde damals von John Dewey für einen reformierten Schulunterricht vorgeschlagen. Sie gehört zu den immer noch aktuellen und nie umfassend angewandten Vorschlägen der Reformpädagogen. Von Katz und Chard wurde sie dann für den Schulunterricht neu erarbeitet.

Was ist ein Projekt?

Ein Projekt ist eine längerfristige Untersuchung eines Themas, die in der Regel von einer Klasse, meistens aufgeteilt in Kleingruppen, manchmal auch nur von einer Gruppe von Kindern aus der Klasse oder gelegentlich nur von einem einzelnen Kind durchgeführt wird. Diese Untersuchung schließt verschiedene Aspekte eines Themas ein, die sowohl die teilnehmenden Kinder interessieren als auch von ihren Lehrer/innen als sinnvoll angesehen werden (Katz /Chard 2000, S. 210).

Projekte im Kindergarten

Ein meist größeres Vorhaben wird von den ErzieherInnen und Kindern gemeinsam geplant. Es ist längerfristig angelegt und erstreckt sich oft über mehrere Tage oder sogar Wochen. Es wird in der Gruppe bearbeitet, an seiner Auswahl und seinem Verlauf sind die Kinder unmittelbar beteiligt. Lernen, selbständig zu handeln, für sich eine Aufgabe zu entwerfen und sie innerhalb größerer Zeitabschnitte zu bearbeiten, Bezüge zur alltäglichen Lebenswelt herzustellen – das sind die pädagogischen Leitziele der Projektarbeit (Zimmer 1998, S. 18).

Ihre Durchführung erfolgt in unterschiedlichen Formen: Gespräche, Bauen und Erproben, Exkursionen, nachbereitende Spiele, Kleingruppenaktiväten, die verschiedene Aspekte verfolgen können, Medien und Erklärungen etc. Indem die Thematik über unterschiedliche Aktivitäten angegangen und dadurch von verschiedenen Seiten erfahren wird, wird es in "spiralförmigem" Lernen erfasst: "Der fortwährende Wechsel von Gruppendiskussionen, Besichtigungen, Experimenten, Rollenspielen, Mal- und Bastelaktivitäten führt zu einem immer tieferen Eindringen in die jeweilige Thematik" (Textor 1999, S. 13).

Zum Ablauf eines Projektes

Projekte werden nach einem bestimmten Raster beschlossen, geplant und durchgeführt, das aber für Abwandlungen und neue Ideen offen zu halten ist.

Unterschieden werden die folgenden Phasen:

  • Suche des Projektthemas

Der Gegenstand des Projektes kann von Vorschlägen und Wünschen der Kinder ausgehen, die das Fachpersonal aufnimmt, oder auch von den Fachkräften ausgewählt werden. Es ist für das Gelingen nicht entscheidend, ob die Themen von den Kindern selbst angeregt werden oder von den Fachkräften vorgeschlagen werden. Im zweiten Fall wird das Vorhaben mit den Kindern besprochen und beschlossen. Die Beteiligung der Kinder von Anfang an wird die Motivation erhöhen und die Ausdauer stärken.

  • Planung des Projekts

In beiden Fällen erstellen die Fachkräfte (möglichst im Team) eine Projektskizze, die der Durchführung zugrunde gelegt wird. Es handelt sich dabei nicht um einen Zeitplan im Stil von Wochenplänen, sondern eher um eine Sammlung von Ideen und möglichen Aktivitäten zum Projektthema, die in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden. Sie sind in allen Phasen der Durchführung auch wieder in Frage zu stellen, um andere als die vorgesehenen Wege zu gehen. Zugleich enthalten sie Vorschläge, die vielleicht zunächst nicht realisiert wurden, aber wieder aufgegriffen werden können, wenn das Interesse der Kinder erlahmt und ein Wechsel der Aktivitäten angezeigt ist.

  • Einstieg

Das Vorhaben wird nun im Einzelnen mit den Kindern besprochen, darüber ihr Interesse geweckt und das Vorwissen erschlossen, das die Kinder zu diesem Thema haben. Dabei sollten die Fachkräfte irrige Annahmen der Kinder nicht sofort verbessern, sondern sie als Meinungen festhalten, um sie später von den Kindern selbst an der Realität überprüfen und korrigieren zu lassen.

Gleichzeitig sind die Aktivitäten durch die Fachkräfte vorzubereiten, Material zu beschaffen, Exkursionen abzusprechen usw.

  • Durchführung des Projekts

In dieser Phase wird die eigentliche "Forschungsarbeit" angegangen: Der jeweilige Gegenstand wird unter Berücksichtigung all seiner Aspekte gründlich untersucht. Die Kinder formulieren die sie interessierenden Fragen und besprechen, wie sie Antworten auf sie finden können. Sie stellen Hypothesen auf und fragen sich, wie sie sie begründen oder widerlegen können.

Informationsquellen

Die Hauptaufgabe besteht hier im Beschaffen von neuen Informationen, vor allem durch unmittelbare direkte Erfahrungen in der realen Welt. Die verwendeten Informationsquellen können primärer oder sekundärer Art sein. Primäre Quellen beinhalten Ausflüge zu realen Schauplätzen oder Ereignissen, wie zu einer Baustelle, zu einer Maschine, die gerade in Betrieb ist, oder zum Lager eines Supermarktes, der gerade beliefert wird. Gespräche mit Leuten, die direkte Erfahrungen mit dem Projektthema haben, liefern ebenfalls Informationen aus erster Hand. Sekundäre Informationsquellen wie Bücher, relevante Lehrfilme, Videobänder, Broschüren und Prospekte können zu dieser Zeit ebenfalls studiert werden (Katz/Chard 2000, S. 221).

Während der Durchführung werden immer wieder Besprechungen vorgesehen, in denen das laufende Projekt mit der vorgesehenen Planung verglichen und neue Vorschläge berücksichtigt werden können. Dabei ist auch zur Sprache zu bringen, ob die Vorstellungen und Wünsche der Kinder erfüllt wurden und ob sie weiterhin bei der Sache bleiben.

Die Fachkräfte reflektieren den Projektverlauf anhand der Projektskizze. Sie verfolgen die Arbeit, überprüfen, ob die ursprünglichen Ziele erreicht werden, geben weiterführende Anregungen und regen Tätigkeiten und Untersuchungen an.

Projekte folgen nicht vorgegebenen Zeitplänen, sondern werden so lange durchgeführt, bis das Ziel erreicht ist oder die Kinder das Interesse verlieren.

Aus Erfahrungen während eines Projektes können sich neue Projektideen entwickeln oder das Projekt in eine andere Richtung verändern.

  • Präsentation der Ergebnisse

Erschöpft sich das Thema, wird zum Abschluss eine Präsentation erstellt, die die Ergebnisse noch einmal für die Kinder zusammenstellt, auch für Eltern, Träger etc. sichtbar macht und eine gewisse Öffentlichkeit herstellt.

  • Auswertung

Am Ende sollte ein Auswertungsgespräch im Team, aber möglichst auch mit den Kindern, stehen, bei dem nachgefragt wird, wie weit die Ziele erreicht wurden, wo das Projekt gelang oder was missglückte, wie die Kinder dabei kooperierten und wie es bei Außenstehenden ankam.

Martin R. Textor: Projektarbeit im Kindergarten. Planung, Durchführung, Nachbereitung, Freiburg 1998 (4. Auflage)

Grundlagen, Ziele und Durchführung sowie Vorschläge für Projekte zu verschiedenen Bildungsbereichen

2.1.3 Zur Reggio-Pädagogik

Die Ausrichtung der Bildungsarbeit auf die Wahrnehmungen und Interessen der Kinder wird am konsequentesten in der sogenannten "Reggio-Pädagogik" praktiziert, also der Arbeitsweise, die in den Kindergärten von Reggio Emilia in Norditalien entwickelt wurde. Der leitende Gesichtspunkt in dieser sehr erfolgreichen und international anerkannten Arbeitsweise besteht darin, den Kindern behilflich zu sein, sich die Welt selbständig anzueignen, von sich aus zu Problemlösungen, Einsichten und Schlussfolgerungen zu kommen. Im Mittelpunkt steht der Prozess der subjektiven Verarbeitung von Wahrnehmungen und Erfahrungen. Deshalb wird großer Wert auf die Förderung ästhetischen Gestaltens gelegt.

Um zu verhindern, dass Kinder vorschnell auf (sprachliche) Folgerungen verpflichtet werden, die ihnen Erwachsene vorgeben, halten sich die Pädagogen im Hintergrund und vermeiden es, ihr Wissen den Kindern überzustülpen. "Im Vordergrund des pädagogischen Interesses steht dabei nicht die Frage, wie erkläre ich den Kindern ein Objekt, ein Ereignis, ein Geschehen, an welchem sie sich festgebissen haben, sondern auf welche Weise nehmen Kinder dies wahr, wie kommen sie zu den Fragen, die sie stellen, oder allgemeiner: Was geht im Kopf der Kinder vor, wenn sie die Dinge so wahrnehmen und aussprechen, wie sie dies tun" (Schäfer 2004, Kapitel 6, S. 8).

Das schafft den Kindern Raum, ihre Wahrnehmungen und Beobachtungen in den "hundert Sprachen des Kindes" zum Ausdruck zu bringen, und den Weg von der Wahrnehmung über deren Gestaltung bis zu einer Erklärung selbst zu gehen. Die individuellen, von ihrer Lebensgeschichte geprägten Eindrücke werden nicht von vorgegebenen Sätzen zurückgedrängt, sondern können über die persönliche Verarbeitung und Gestaltung bis zu bewussten und formulierbaren Einsichten ausgearbeitet werden.

Der geheimnisvolle Vogel

In dem Kindergarten Diana hatte die Erzieherin an die Fensterscheibe einen Papiervogel geklebt. Nun erschien der Schatten des Vogels auf dem Fußboden des Gruppenraumes. Irgendwann entdeckten die vierjährigen Kinder den Besucher und begrüßten ihn. Sie brachten ihm Wasser und Futter und bauten ihm noch eine Fernsehecke zur Entspannung. Danach wandten sie sich anderen Beschäftigungen zu. Das Interesse an dem Vogel erwachte jedoch erneut. Hatte er wohl gefressen, und das Wasser getrunken? Die Rückkehr zu ihm brachte eine Überraschung mit sich: Der Vogel war ein Stück weitergeflogen. Die Kinder waren sehr erstaunt. Sie diskutierten miteinander und kamen auf die Idee, ihn festzuhalten. Sie malten mit Kreidestrichen seinen Umriss auf den Boden. Dennoch flog er weiter. Vielleicht konnte ein Käfig ihn halten? Die Kinder befestigten mit Klebeband ein Gitter um den Vogel. Doch wieder wanderte er weiter. Es gab Nachdenklichkeit und Gespräche darüber, wie der Vogel wohl fliegen könne. Um das Rätsel zu lösen, wurden die älteren Kinder aus der Nachbargruppe befragt. Diese hatten folgende Idee: Man müsse sich verstecken und den Vogel beobachten, denn in Anwesenheit von Menschen würde der sein Geheimnis nicht preisgeben. Deshalb beobachteten die Kinder den Vogel aus einem Versteck heraus. Trotzdem fanden sie auf ihre Frage keine Antwort. Ein bisher unbeteiligtes Kind trat zu der Gruppe und fragte nach, was denn los sei. Dann erklärte es das Phänomen auf einen Schlag: Der Vogel sei doch der Schatten des Tieres an der Scheibe, ob dies denn so schwer zu verstehen sei? Die Erzieherinnen beobachteten diese Begebenheit aufmerksam und machten sie zum Ausgangspunkt für verschiedene Projekte zum Thema Licht und Schatten. Die Kinder vergaßen das Vögelchen nicht. Es wurde mit dem Schatten zu einer Uhr, die je nach Sonnenstand Auskunft über die Tageszeit gab (Schäfer 2004, Kapitel 6, S. 9).

Wolfgang Ulrich/ Franz-J. Brockschnieder: Reggiopädagogik im Kindergarten, Freiburg 2001

Selbstverständnis, Bild des Kindes, Methoden und Arbeitsweise der Einrichtungen in Reggio Emilia

Reggio Children: Hundert Sprachen hat das Kind, Neuwied 2002

Die vielen Ausdrucksweisen und Gestaltungen von Kindern und die Bedeutung, die dem Material und der Entdeckung dabei zu kommen

2.1.4 Offene Arbeit

Diese beweglichen, an den kindlichen Interessen ausgerichteten Bildungsangebote lassen sich kaum in den festen Strukturen durchführen, wie sie die überkommene Organisation der Kindergärten vorsah. Sie verlangen nach einer doppelten Öffnung:

  • einerseits der Durchlässigkeit der festen Gruppen,
  • andererseits nach einer Öffnung zum Umfeld der Einrichtung.

Offene Arbeit in der Einrichtung

In der offenen Arbeit werden die Gruppen durchlässig, zumindest zu bestimmten Zeiten. Die Kinder können sich Spielkameraden oder Angebote quer durch die Einrichtung suchen.

Das muss nicht heißen, dass die Gruppen vollständig aufgelöst werden. Für die Beibehaltung fester Gruppen spricht, dass sich die Kinder dann einer überschaubaren Zahl von Kindern und einer oder zwei Erzieherinnen zuordnen und damit leichter zurechtfinden können. Der gemeinsame Stuhlkreis oder das Frühstück können Zusammengehörigkeit, gegenseitige Rücksichtnahme und Verantwortung stärken. Die Gruppen können aber auch dann zu bestimmten Zeiten geöffnet werden, in denen die Kinder sich Spielkameraden oder die angebotenen Bildungsprojekte nach Belieben wählen können.

Was heißt offener Kindergarten?
  • Die Türen der Gruppenräume werden zeitweise oder ständig geöffnet. Dadurch erweitern sich die Spielmöglichkeiten im Umfeld des Gruppenraumes (Flur, Eingangshalle, Waschraum usw.).
  • Die Kinder können zu bestimmten Zeiten oder ständig die Stammgruppe verlassen und sich in andern Gruppen aufhalten. (...) Kinder erweitern so ihre Kontakte und Spielmöglichkeiten. Angebote oder Projekte werden gruppenintern oder gruppenübergreifend ermöglicht.
  • Die Erzieherinnen lösen die bisherigen Funktionsecken (z.B. Bau-, Puppen-, Leseecke) auf und schaffen unter Einbeziehung der anderen Gruppenräume größere Spielbereiche. (....) Stammgruppen bleiben in der Regel für bestimmte Aktivitäten (Morgenkreis, Geburtstagsfeiern, Ausflüge etc.) erhalten (Regel 1997, S. 8).

Ingeborg Becker-Textor/ Martin R. Textor: Der offene Kindergarten, 1998

Integration, Öffnung von Gruppen, Altersmischung, Gemeinwesenorientierung, Vernetzung mit Schulen und sozialen Diensten, Öffentlichkeitsarbeit

Gerhard Regel/ Thomas Kühne: Arbeit im offenen Kindergarten, Freiburg 2001

Organisation und grundlegendes Konzept des offenen Kindergartens, Lernchancen der Kinder und praktische Beispiele

Öffnung zum Stadtteil

Sowohl der Bezug zur Lebenswelt im Situationsansatz wie die auf aktives Begreifen gerichtete Projektmethode erfordern die Öffnung des Kindergartens zu seinem Umfeld,

  • indem die Welt außerhalb der Einrichtung erkundet wird (Besuche anderer Einrichtungen, Ausflüge, Interviews, Besuche in Werkstätten usw) und
  • indem Außenstehende (Eltern, Handwerker, Senioren etc) in die Einrichtung eingeladen werden.

Die Öffnung zum Umfeld sollte dabei natürlich nicht auf Projekte beschränkt bleiben.

Erkundung des Umfeldes

Eine Öffnung nach außen setzt voraus, dass die Erzieherinnen das Einzugsgebiet ihres Kindergartens gut genug kennen, um für die Kinder relevante Lernorte identifizieren zu können. (....) Zu erfassen sind beispielsweise

  • Naturnahe Flächen: Wald, Heide, Bäche, Parks usw.,
  • landwirtschaftlich genutzte Flächen,
  • Bebauung der Nachbarschaft: Häusertypen, Baustile, Gärten, Spielplätze, Treffpunkte usw.,
  • historische Gebäude und Denkmäler,
  • Arbeitswelt: Geschäfte, Firmen, Büros, Praxen, Handwerksbetriebe, Bauernhöfe etc.,
  • Bildungs- und Kultureinrichtungen: Grundschulen, Fachschulen, Kirchen, Museen, Theater usw. aber auch Traditionen, Bräuche, Feste,
  • soziale Einrichtungen: Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen für Behinderte etc.,
  • Freizeiteinrichtungen: Sportanlagen, Schwimmbäder, Badeseen, Grillplätze, Vereine usw.

Dann können Ansprechpartner bei besuchenswerten Institutionen, Betrieben und Diensten ausfindig gemacht werden, können gezielte Erkundungsgänge folgen (Textor 1998, S. 3).

Arbeitsteilung im Team, Unterstützung durch Außenstehende

Es ist klar, dass keine einzelne Person selbst bei großem Engagement und Begeisterung die vielfältigen Lernanregungen wird bieten können, die Kindern eine optimale Anregung sichern. Aber dafür gibt es einmal das Team, dessen Mitglieder sich nach ihren Vorlieben und Vorkenntnissen spezialisieren und dann in ihren Bereichen qualifizierte Angebote machen können. Zweitens lassen sich auswärtige "Spezialisten" engagieren, die die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen mitbringen. Nur in Einzelfällen werden das Honorarkräfte sein können. Es können aber Gäste engagiert werden, deren Besuch die eigenen Unzulänglichkeiten ausgleicht und zugleich den Kindergarten lebendiger macht. Manche Eltern werden sich dazu bewegen lassen oder auch Freunde und Bekannte.

Am ehesten aber kommen Menschen im Ruhestand in Frage, die den Kindern aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrungen eine Menge zu bieten haben. Mit ihnen können die Kinder zugleich eine wichtige soziale Erfahrung machen, die sich nicht mehr von selbst versteht. Großeltern wohnen häufig entfernt und werden nur gelegentlich besucht, und viele Kinder haben kaum Kontakt mit alten Menschen. Und wenn auf diese Weise Männer in die Einrichtung kommen, wäre das ein weiterer Gewinn. Man sollte sich davon auch dadurch nicht abhalten lassen, dass Gäste unter Umständen ein Verhalten und Einstellungen mitbringen, die dem eigenen Stil und der eigenen Überzeugung zuwiderlaufen. Die Kinder sind zwischen Elternhaus, Straße und Kindergarten sowieso immer wieder gegensätzlichen Anweisungen und Anforderungen ausgesetzt, die sie verarbeiten müssen und können. Indem sie diese Unterschiede wahrzunehmen und damit umzugehen lernen, wachsen sie in eine widersprüchliche und offene Gesellschaft hinein.

Methoden kombinieren

Wie in anderen Bereichen neigen wir in Deutschland auch in pädagogischen Fragen zu grundsätzlichen und ausschließenden Debatten. Zwar ist es sinnvoll, in der Konzeption einer Einrichtung Ziele und Vorgehen der eigenen Arbeit festzulegen, aber diese Ziele können auch in Kombination verschiedener Verfahren erreicht werden.

Wenn hier für eine situative, an den Erfahrungen der Kinder orientierte Arbeit plädiert wird, schließt das andere Weisen des Vorgehens nicht aus. Kursartige Angebote lassen sich zum Beispiel sehr wohl mit situativen Angeboten verbinden. Zunächst spricht für regelmäßige Angebote, dass sie in einem bestimmten Rhythmus erfolgen, die Kinder darüber Erwartungen bilden und sich an einem geregelten Tagesplan orientieren können, was Kinder in diesem Alter gerne tun.

Im übrigen ist die Form der Angebote von den Inhalten her zu begründen, und Aufgaben wie Bewegungsförderung oder Sprachförderung sollten nicht auf wenige Anlässe begrenzt werden. Sie sind durchaus auch als kursartige Angebote sinnvoll, als psychomotorische "Turnstunden", regelmäßige Gesprächskreise oder gesonderte Förderstunden. Das hindert nun auf der anderen Seite keineswegs, dazu weitere situative Angebote zu nutzen, eine Bewegungslandschaft anzuregen, wo sich die Gelegenheit dazu anbietet, oder sich auf ausführlichere Gespräche einzulassen, wo sie sich ergeben. Bildungsangebote dagegen, die wie schulische Curricula angelegt sind, führen im Kindergarten zu einem zu starren und unbeweglichen Vorgehen. Sie können die Stimmungen und Situationen nicht berücksichtigen, von denen in diesem Alter Lernfortschritte noch weitgehend bestimmt werden.

Bildung im Kindergarten hängt sehr viel mehr als später in der Schule von den konkreten Bedingungen ab, in denen sie stattfindet und unter denen sie erreicht werden soll. Behördliche oder von den Trägern verabschiedete Rahmenpläne können nicht mehr als Orientierungen geben. Über die Lernangebote, die den Kindern gemacht werden sollen, und über das methodische Vorgehen kann letzten Endes nur das Team der jeweiligen Einrichtungen entscheiden, indem über längere Zeiträume reichende Konzeptionen erarbeitet werden. Dort kann jeweils festgelegt werden, welche kursartigen Angebote gemacht werden, wer sie durchführen kann und ob und in welcher Form Kinder zwischen offenen Angeboten wählen dürfen. Zugleich lassen sich Zeiträume für die Arbeit mit festen Gruppen und für situative Angebote vorsehen.

2.1.5 Dokumentieren

Ein auf die Entwicklung des Kindes bezogene Bildungsarbeit hängt von der Fähigkeit der Fachkräfte ab, diese Entwicklungen zu beobachten und genau zu verfolgen. Da die Eindrücke und Beobachtungen in der Alltagsroutine sehr rasch vergessen werden, ist eine längerfristige Beobachtung auf regelmäßige Aufzeichnungen und ihre Auswertung angewiesen, die dann auch im Team ausgetauscht und besprochen werden können.

Rainer Strätz/Helga Demandewitz: Beobachten. Anregungen für Erzieherinnen im Kindergarten, Hg. vom Sozialpädagogischen Institut in Nordrhein-Westfalen, Münster 2000.

Praxisnahe Hilfe zur Schärfung und zur Dokumentation von Beobachtungen mittels Checklisten und freien Schilderungen.

Eine weitere aussagekräftige Quelle stellen Sammlungen kindlicher Produktionen dar, etwa Mappen mit ihren Zeichnungen oder Regalfächer, in denen sie Arbeiten aufbewahren dürfen.

Verschiedene Formen von Aufzeichnungen lassen sich auch verbinden, etwa in der Weise, wie das im englischen "center of excellence" in Pen Green gehandhabt wird.

Entwicklungsdokumentation in Pen Green

In den Räumen und Gängen sind zahlreiche Beispiele in Bild und Schrift, die jedem Erwachsenen sofort einen Einblick in die pädagogische Arbeit geben. (...) Jedes Kind in Pen Green hat ein sogenanntes Entwicklungsbuch. In diesem Buch werden Beobachtungen, Zeichnungen und Aktivitäten des Kindes über die zwei oder drei Jahre im Zentrum festgehalten. Das Buch wird von den Eltern, von den Kindern und natürlich auch von den Erzieherinnen als Kommunikationsmedium genutzt, als ein Sammelpunkt des gemeinsamen Nachdenkens über die Entwicklungsschritte einzelner Kinder. Die Kinder lieben diesen Entwicklungsbegleiter und sind dann ganz enttäuscht, wenn das Buch nachher in der Schule von den LehrerInnen nicht in gewohnter Weise geschätzt wird (Oberhuemer 2000, S. 39).

Solche Aufzeichnungen dienen als Lern- und Entwicklungsberichte für Eltern und Erzieherinnen, und führen zugleich den Kindern selbst anschaulich vor Augen, wie weit sie schon gekommen sind. Das stärkt das kindliche Selbstbewusstsein und spornt zu neuen Erfolgen an.

Eine einfache Dokumentation der kindlichen Entwicklung bietet auch der in Schweden entwickelte "Baum der Erkenntnis", der die Gesamtentwicklung zwischen Geburt und dem 16. Lebensjahr in anschaulicher und übersichtlicher Weise vor Augen führt. In seinem Wurzelwerk sind die Entwicklungsschritte des Elementarbereichs aufgeführt. Das Heft kann als Richtlinie dienen, um Entwicklungsschritte zu beachten und Bildungsangebote zu planen. Es kann zugleich auch zur Dokumentation der Entwicklung einzelner Kinder dienen, indem die erreichten Fortschritte in der graphischen Übersicht eingekreist werden.

Der Baum der Erkenntnis für Kinder und Jugendliche von 1-16 Jahren, Bremen 2003

Zu beziehen über: Berger, Rotdornallee 89, 28717 Bremen (E-mail: berger_LM@web.de)

Dokumentation in der Reggio-Pädagogik

Durch gegenständliche oder verbale Impulse (Fragen, Schilderung eigener Erlebnisse, mitgebrachte Bilder...) können Erzieher/innen dem Interessen- und Handlungsspektrum der Kinder neue Akzente vermitteln. Ausgangsbasis für solche Impulse sind die täglichen Kurzprotokolle über die Aktivitäten der einzelnen Kinder bzw. der in Projekte eingebundenen Kindergruppen. Die Protokolle einschließlich knapper schriftlicher Interpretationen werden regelmäßig im Team diskutiert. (....)

Um verschiedene Perspektiven und Zugangsweisen zum beobachteten Geschehen wahrnehmen zu können, ist es entscheidend, dass Beobachtungen möglichst unverzüglich dokumentiert und damit der Einschätzung mehrerer Personen (Kolleg/innen im Team) und der Interpretation zu einem späteren Zeitpunkt zugänglich werden. Alltägliche Hilfsmittel der Dokumentation sind Aufzeichnungen per Cassettenrecorder, Notizen in einem pädagogischen Tagebuch oder auf Blättern mit Tabelleneinteilung, aber auch Fotos und Videoaufzeichnungen. (....)

Ein zentrales Element der reggianischen Projektpraxis ist die sinnlich-gegenständliche Dokumentation der Handlungsprozesse durch großflächige Wanddokumentationen ("sprechende Wände") und/oder vervielfältigbare Heftdokumentationen. Deren Bestandteile sind gegenständliche Kinderarbeiten, Kinderäußerungen, Fotos (die den Aktionsprozeß darstellen), Überschriften und kurze Kommentierungen. Die Erzieher/innen sind für Materialauswahl und Gestaltung der Dokumentationen verantwortlich; vielfach werden aber auch die Kinder beteiligt. Dadurch werden ihre Eigenverantwortlichkeit, Selbständigkeit und Identifikation mit Prozeß und Ergebnis der Dokumentation gestärkt. Die Dokumentation gibt die Entwicklung, Vorstellungen, Entdeckungen und Erkenntnisse der Kinder(-gruppe) wieder. Insbesondere wenn sie parallel zum Projektverlauf erstellt wird, verleiht sie dem Prozeß Struktur; sie vermittelt den Kindern Wertschätzung, Rückmeldung, Anlässe zum Sich-Erinnern und Material zur selektiven Imitation. Auch für die Erzieher/innen und Eltern stellen die Projektdokumentationen eine wichtige Informationsquelle über das Denken, Fühlen und Können der Kinder sowie deren Entwicklung dar (Knauf 2000, S. 192,194 und 193).

11.10.2004