Gebildete Kindheit

Handbuch der Bildungsarbeit im Elementarbereich

Teil 2: Bildungsarbeit

 

2.3 Der Raum als Erzieher

Neben der sozialen ist es die gegenständliche Umwelt, die den Kindern Anregungen vermittelt, ihre Neugier herausfordert, dazu einlädt, sich zu bewegen, sie zum Erproben ihrer Fertigkeiten lockt, oder eben im Gegenteil, sie uninteressiert läßt, sie einschränkt und behindert. So oder so wird die Einrichtung in ihrer baulichen Gestaltung, der vorgesehenen Nutzung der Räumlichkeiten und des zur Verfügung gestellten Materials zu einem heimlichen Erzieher.

Die Einförmigkeit herkömmlicher Einrichtungen

Die räumliche Anordnung und die Ausstattung vieler Einrichtungen werden den Ansprüchen an eine anregende Umgebung in vielen Fällen nicht gerecht. Noch ähneln sie zu oft den Bildern, die wir von historischen Aufnahmen aus Kindergärten kennen: Übersichtliche, möglichst helle Räume, mit niedrigen Tischen und Stühlen, an denen die lieben Kleinen sitzen und basteln oder um die sie einen Reigen tanzen. Dazu kommt die immer noch meist gleichförmige Möblierung, die vielfältige Nutzung behindert.

Die pavillonartigen Gebäude, wie sie seit den 70er Jahren errichtet wurden, haben den Vorteil, dass sie häufig in einer Grünzone liegen und meist aureichend Raum für das Außengelände bieten. Ihre Anordnung fällt aber meist zu funktional und damit zu eintönig aus. In Altbauten gibt es meist weniger Platz, sie wirken aber geheimnisvoller und anregender, und um sie herum gibt es meist auch mehr zu beobachten.

Räume anders nutzen

Die bauliche Struktur ist im allgemeinen nicht zu verändern, sie muss hingenommen werden, wie sie vorliegt. Aber sie kann mit einiger Phantasie anders genutzt werden, als ihre Erbauer das vorsahen. Jede Einrichtung findet da andere Bedingungen vor, in denen nach kreativen Veränderungen gesucht werden muss.

Als übergeordnete Gesichtspunkte ist dabei zu beachten:

  • Die Räumlichkeiten sollten den Kindern beim Betreten auf den ersten Blick Übersicht und Orientierung bieten, auf den zweiten zu allen möglichen Erkundungen einladen.
  • Benutzbarkeit, Beweglichkeit und Veränderbarkeit sind wichtiger als festgelegte Gestaltung, so ästhetisch ansprechend oder architektonisch gelungen sie auch ausfallen mag.
  • Die ästhetische Gestaltung ist an den Kindern auszurichten, nicht an dem, was Architekten für gelungen halten. Die Raumgestaltung sollte deshalb zwischen Kindern und den Fachkräften erfolgen. Handwerker, freiwillige Helfer oder auch Architekten haben deren Wünsche und Ideen umzusetzen.
Wie Kinder Räume benutzen

Das Kind lernt den Raum in seiner gesellschaftlichen Zuordnung kennen: die Garage des Nachbarn, der Pausenhof der Realschule, der Hangar des Ruderclubs. Durch Tests erfährt es, was geschieht, wenn es diese Räume benutzt.(....) Das Kinderspiel in Räumen besteht infolgedessen in einer Zudichtung von Verfügbarkeiten, so wie das Spiel zwischen den Kindern ein Rollenspiel ist. Man spielt: Du darfst nicht in mein Haus, von dort an gehört es dir, an diesem Ort darfst du mich nicht fangen, dort ist der Strafraum jener, die das Spiel verlieren. Dabei sind wir uns klar darüber, dass für diese fiktiven Zuordnungen vorhandene Merkmale des Raums wie Stufen, Schwellen, Änderungen im Bodenbelag als Grenzen willkommen sind und benützt werden. Vermutlich ist also ein an solchen Marken reicher Raum für Kinder und ihre Spiele besonders geeignet....Niemals kann den Kindern so viel Raum zur Verfügung gestellt werden, dass sie darin, wie auf den Dachböden der alten Kinderbücher, immer neue Entdeckungen machen können. Solche Erlebnisse des Raums können also nur vermittelt werden,

  • dadurch, dass den Kindern ermöglicht wird, den Raum spielerisch umzudeuten,
  • dadurch, dass diese Umdeutung unterstützt wird durch Material zur leichten Umwandlung des Raumes: Tücher, Latten, Papier und Farbe,
  • durch den Wechsel von Räumen und Qualitäten,
  • durch das Eindringen in fremde Lokalitäten: Besuche von Privatwohnungen, Geschäften, Werkstätten

(Burkhardt 1976, S. 79 ).

Zur Raumgestaltung

Ein interessanter Eingangsbereich lädt zum Eintreten ein und vergrößert das Vergnügen morgens ins Haus zu kommen. Interessant heißt nicht geordnet, sondern vielfältig: Wände, Stellwände oder Tische zum Ausstellen von kindlichen Produktionen, Dokumentationen von Aktivitäten. Natürlich auch ein schwarzes Brett für Nachrichten an die Eltern, aber vielleicht auch einen Stehtisch, um mit den Müttern zu reden und einen Kaffee zu trinken.

Wo es der Platz erlaubt, können Gruppenräume in der Mitte einen offenen Raum lassen, der möglichst nicht oder nur zeitweise mit Tischen und Stühlen zugestellt wird. An den Rändern lassen sich mit Stellwänden Nischen und Rückzugsräume einteilen, die mit bestimmten Angeboten locken: Bauecken, Puppenecken, Leseecken etc. Zur besseren Abgrenzung können sie auf (möglichst unterschiedlich hohen) Podesten aufgebaut und mit Vorhängen oder Tüchern abgegrenzt werden.

Wenn es die Zimmerhöhe erlaubt, lohnt es sich, Zwischenböden einzuziehen, die problemlos aus Holz errichtet werden können (und für die sich vielleicht Helfer finden, die sie errichten und die Kinder einbeziehen.) Den Bewegungs- und Spielbedürfnissen von Kindern kommt es entgegen, die Zwischenböden auf verschiedenen Niveaus anzulegen und dann mit Brücken und schrägen Ebenen zu verbinden. Als Zugänge zu den Hochebenen können feste Treppen, verstellbare Leitern, Strickleitern oder Kletterseile angebracht werden. Auch eine Kletterwand schafft einen abenteuerlichen Zutritt.

Wo die Decke zu niedrig ist, können die verschiedenen Nischen in Form von Häuschen und Höhlen gestaltet werden. Wichtig ist, dass die Anlagen nicht aus einheitlichen Bauelementen gefertigt werden, und dadurch in ihrer Gleichförmigkeit wieder die vielfältige sinnliche Anregung verlieren. Alle Installationen müssen natürlich Sicherheit bieten, dennoch sollten sie möglichst auch wieder ohne große Kosten verändert werden können

Anregend ist auch ein Wechsel von Licht und Dunkelheit. Die Häuschen oder Rückzugsebenen können mit Fenstern oder verschließbaren Luken, die Nischen mit einer guten Beleuchtung versehen werden, die die Kinder selbst ein- und ausschalten dürfen. Luken und Fenster dienen zugleich dazu, sich rasch an die Fachkräfte wenden zu können, wenn Kinder das Bedürfnis haben oder Hilfe brauchen.

Auch die übrigen Räume wie Flure, Toiletten, Abstellräume sollten möglichst für zusätzliche Nutzungen zur Verfügung stehen und entsprechende Anlagen bieten.

Freier, variabler und damit anregender kann die Einrichtung gestaltet werden, wo durchgehend offen gearbeitet wird und deshalb "Funktionsräume" eingerichtet werden. Die Aufteilung der Räumlichkeiten auf verschiedene Funktionen sollte aber nicht starr angewandt werden. Entscheidend ist, dass vielseitige Anregungen und Betätigungen möglich werden, nicht, dass man für jede Tätigkeit einen eigenen Raum vorsieht. Dazu reichen in den meisten Einrichtungen auch die Räume gar nicht aus. Auch eine geräumige Werkstatt reizt die Bewegungslust. Sie kann dann so angelegt werden, dass die Anlagen zum Bauen und Werken sich an den Wänden entlang ziehen und in der Mitte Platz für andere Aktivitäten bleibt.

Zur Einrichtung von Funktionsräumen

Zu beachten ist:

  • Es müssen verbindliche Absprachen zwischen den Erzieherinnen getroffen und gemeinsam mit den Kindern Regeln für die Benutzung der Räume entwickelt werden.
  • Eindeutige Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Erwachsenen für einzelne Funktionsräume (möglichst nach eigenen Interessen und Neigungen, dann klappt es am ehesten).
  • Voraussetzung für die Gestaltung und sinnvolle Nutzung von Funktionsräumen ist eine gemeinsame, gruppenübergreifende Planung und Kooperation (Lill 1998, S. 150-52).

Angelika von der Beek/ Mathias Buck/ Annelie Rufenach: Kinderräume bilden. Ein Ideenbuch für Raumgestaltung in Kitas, Neuwied 2001

Wie Funktionsräume für Bewegung, Ruhe, Spiel, Werken, Bauen und für Wasserspiele eingerichtet werden können.

Wolfgang Mahlke/ Norbert Schwarte: Raum für Kinder. Ein Arbeitsbuch zur Raumgestaltung in Kindergärten, Weinheim 1997 (4.Auflage)

Vorschläge zur Gestaltung von Innenräumen durch Podeste, Zwischenwände, Spielräume. Kaum Beachtung des Außenraums.

Jutta Dreisbach-Ohlsen/ Sybille Haas-Krumm/ Marianne Philipps-Prenzel: Nischen, Höhlen, Hängematten. Kitaräume verändern sich, Neuwied 2001 (3.Auflage)

Gestaltung nach sechs Grundbedürfnissen: Begegnen, Raum verändern, entdecken, sichtbar machen, malen und gestalten, sich bewegen, zur Ruhe kommen.

Udo Lange/ Thomas Stadelmann: Das Paradies ist nicht möbliert. Räume für Kinder, Neuwied 2001 (2.Auflage)

Bauanleitungen für überraschende und variable Gestaltungsideen in Kindergarten, Hort und Familie.

Hinweise zur Gestaltung des Außenbereichs finden sich beim Bildungsbereich "Spiel und Phantasie" sowie bei "Natur, Umwelt und Technik".

Zusammenfassende Merkpunkte zur Anlage von Bildungsangeboten

Bei der Planung und Durchführung von Bildungsangeboten ist stets zu beachten:

  • dass Selbstbildung und Lernen von Kindern von verlässlichen Beziehungen abhängen
  • dass Kinder möglichst an allen Schritten zu beteiligen sind,
  • dass die durch die Fachkräfte gestaltete Umgebung entscheidenden Einfluss auf Bildungs- und Lerneffekt hat,
  • dass die Fachkräfte die Kinder aufmerksam beobachten und ihr Vorgehen darauf einstellen und
  • dass sie die Verantwortung für die Auswahl und Bedeutung der Themen und Gegenstände tragen.


11.10.2004