Gebildete Kindheit

Handbuch der Bildungsarbeit im Elementarbereich

Teil 3: Die Bildungsbereiche

 

3.7 Bildungsbereich Bauen und Gestalten

Künstlerisches Gestalten steht in der Auffassung von Erwachsenen eher im Gegensatz zu Bauen und Konstruieren. Während das eine der Sphäre der Arbeit zugerechnet wird und handfesten Zielen dient, gilt das andere eher als Freizeitbeschäftigung und wird allenfalls bei Menschen ernst genommen, die Kunst als Beruf ausüben.

Im kindlichen Erleben jedoch hängen konstruktives Bauen und künstlerisches Gestalten eng zusammen und durchdringen sich gegenseitig. Kinder suchen ihre Ideen und Wünsche in gegenständlichen Produktionen zu realisieren. Sie stellen mit der gleichen Intensität im Alltagsleben brauchbare Gegenstände her wie sie ihre Eindrücke und Phantasien in einer Zeichnung zum Ausdruck bringen. Ob eine alte Kiste zu einem Haus umgestaltet oder ein Bild gemalt wird, das die Eindrücke des letzten Ausflugs festhält, ob das Fahrrad instand gesetzt oder aus alten Brettern eine Hütte im Gebüsch gebaut wird, hat eine vergleichbare Bedeutung und wird mit der gleichen Intensität angegangen.

3.7.1 Handwerk, Kunst und Feinmotorik

Der uns geläufige Gegensatz von Kunst und alltäglichen Gebrauchsgegenständen entstand im Gefolge der industriellen Massenfertigung. Produkte, die nach einheitlichen Mustern maschinell hergestellt werden, können nicht die besonderen Eigenschaften und Neigungen ihrer Hersteller und Nutzer verkörpern, wie das handwerklich hergestellte Gegenstände tun. Massenprodukte haben nicht die "Aura", die Liebhaber an alten Bauernschränken oder handgefertigtem Geschirr schätzen. In Handarbeit gefertigte Gegenstände gleichen sich niemals vollständig, und sind fast immer mit "überflüssigen" Verzierungen versehen, die von ihrer funktionalen Benutzbarkeit her nicht gefordert sind. Sie waren, unabhängig von ihrer Qualität, immer zugleich handwerkliche und künstlerische Produktionen.

Erst als Reaktion auf die Massenfertigung der Industriegesellschaft entsteht eine "reine" Kunst, deren Produkte von aller praktischen Gebrauchbarkeit absehen und deren Sinn ausschließlich im persönlichen Ausdruck des Künstlers besteht. Kunst sucht nunmehr ausschließlich die Wahrnehmungen, Strebungen und Träume seines Schöpfers darzustellen. Sobald das "l'art pour l'art" zur Regel künstlerischen Schaffens wurde, etablierte sich daneben – sozusagen als Ausnahme von der Regel – ein "Kunsthandwerk", das wiederum handwerklich gefertigte Produkte für den Alltagsgebrauch zum Verkauf anbietet. Um verkäuflich zu sein, müssen sie dem entsprechen, was eine Kundschaft erwartet, die an industriell normierten Produkten orientiert ist. Kunsthandwerkliche Gegenstände, wie wir sie als Souvenirs, Briefbeschwerer, Aschenbecher, gestickte Wandbehänge, Topflappen oder Untersetzer etc. in Andenkenläden und Bastelgeschäften finden, zeigen deshalb eine ähnlich normierte Einförmigkeit wie die Industrieproduktion, nur dass sie deren alltägliche Brauchbarkeit vermissen lassen.

Kinder sind Handwerker-Künstler

Was bringt uns diese Überlegung für die Arbeit in den Einrichtungen? Zunächst einmal zeigt schon die knappe Beschreibung: Was herkömmlicherweise im Kindergarten gebastelt wird, ist ein Abkömmling des Kunsthandwerks, und die üblicherweise gebastelten Gegenstände erinnern auffallend an die von Kunsthandwerkern angebotenen Produkte. Und dabei besteht immer die Gefahr, dass über die vorgegebenen Muster die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten der Kinder eingeschränkt, dass aber andererseits die Ergebnisse nur als überflüssiger Zierat betrachtet werden, die den Herstellern zuliebe dann gelegentlich auch einmal benutzt werden.

Wo Kinder sich spontan und mit Begeisterung ans Werken machen, arbeiten sie eher im Sinne der vorindustriellen Handwerker-Künstler: Einerseits suchen sie sich selbst, ganz im Sinne jeder künstlerischen Schöpfung, in den Produkten zum Ausdruck zu bringen, ihre Wahrnehmungen, ihre inneren Bilder, ihre Einfälle darin zu vergegenständlichen. Andererseits suchen sie in ihren Kreationen auch einen Nutzwert zu realisieren, daraus etwas zu formen, das für sie selbst oder andere zu gebrauchen ist. Das mag sich darin erschöpfen, dass sie ein gemaltes Bild auch an der Wand sehen möchten, am besten in einem "richtigen" Bilderrahmen. Was sie für den Alltagsgebrauch basteln, soll zugleich "schön" sein, wird angemalt, geschmückt und verziert. Wir finden darin eine ähnliche Mischung von Nutzwert und "überflüssiger" Ästhetik wie in den Kreationen der Handwerkskünstler vorindustrieller Zeiten.

Die Tradition der "Beschäftigungen"

In der pädagogischen Strömung um 1900, die unter dem Schlagwort "Kind und Kunst" firmiert, war es ausgemacht, dass in jedem Kind ein Künstler steckt, der im ernsthaft arbeitenden Erwachsenen unterdrückt wird und den es deshalb in der Kindheit zu fördern galt. Kunst wurde als heitere Gegenwelt zur gesellschaftlichen Arbeit begriffen, als das "Reich der Freiheit", das wenigstens den Kindern noch offen stehen sollte, ehe sie sich als Erwachsene ins "Reich der Notwendigkeit" einer einförmigen Arbeitswelt würden eingliedern müssen. Künstlerische Betätigung wurde von jeder Brauchbarkeit abgelöst.

Die Beschäftigungen in der Kindergartenpädagogik nach 1900 suchten zwar den persönlichen "künstlerischen" Ausdruck zu fördern, aber die Ergebnisse wurden im allgemeinen verglichen und bewertet. Der individuelle Spielraum der Kinder blieb dabei recht begrenzt, denn im Gegensatz zu den erklärten pädagogischen Zielen wurden in der Praxis immer nur wenige Verfahren angewandt und die Produkte nach vorgegebenen Mustern hergestellt. Der Weihnachtsstern war eben aus Goldpapier zu falten und die Kastanienmännchen mit Streichhölzern zusammenzustecken. Und immer gab es eine Weise, wie es richtig zu machen war, wodurch alle andern Weisen als "falsch" bewertet wurden. Selbst beim Malen, das als eigentliche Kunstbetätigung eine größere Gestaltungsfreiheit gestattete, setzten sich häufig Muster durch, die den Kindern vorgeführt wurden und denen sie dann nacheiferten oder es wurden gar Schablonen nachgezeichnet. Eine extreme Form solchen "richtigen" Zeichnens und Malens finden wir immer noch in den Malvorlagen billiger Hefte.

Die Bedeutung handwerklicher Geschicklichkeit

Allerdings bekamen Kinder damals außerhalb der Einrichtungen viele Anregungen, die ihre handwerklichen Fertigkeiten herausforderten. Das hat sich jedoch heute für die meisten Kinder geändert.

Die Lebenswelt, in der Kinder heute aufwachsen, bietet im allgemeinen wenig Anregung zu handwerklicher Tätigkeit. Einmal sind die Werkstätten kleiner Handwerker aus dem Wohnbereich verschwunden, die man besuchen, deren Arbeit man beobachten und wo man sich auch immer wieder spielerisch beteiligen konnte. Aber auch in den Wohnungen selbst ist kaum mehr Platz für Werkräume, und nur wenige Kinder verfügen über einen Schuppen, in dem man bauen und basteln kann, oder kennen Erwachsene, die ihnen dabei geduldig zur Hand gehen. Zudem haben viele Erwachsene, die als Angestellte in Büros arbeiten, selbst keinen Zugang mehr zu handwerklichen Tätigkeiten oder sind nach getaner Arbeit nicht bereit, sich die Hände schmutzig zu machen. Die Handarbeiten der Kinder müssen sich dann auf das Basteln mit sauberem vorgefertigtem Bastelmaterial beschränken, das auch in Wohnräumen geduldet wird. Auch hier haben die Einrichtungen, so gut es geht, zu ersetzen, was die alltägliche Lebenswelt den Kindern vorenthält.

Handwerkliche Fähigkeiten bleiben nach wie vor die Grundlage für alles produktive und künstlerische Arbeiten. Betrachtet man die Anforderungen an die frühe Ausbildung zentraler "Kompetenzen", die in der Bildungsdiskussion an den Elementarbereich gestellt werden, so werden sie nicht zu erreichen sein, ohne den Kindern Gelegenheit zu geben, handwerkliche Fertigkeiten auszubilden. Jedes Vorhaben stellt die Kinder vor sehr spezielle Probleme, die sie nach den gegebenen Bedingungen und ihren Fähigkeiten zu lösen versuchen müssen und regt darüber ihre Findigkeit und ihre Kreativität an. Auch die allseits geforderte naturwissenschaftliche Frühbildung setzt eine tätige Auseinandersetzung mit den materiellen Bedingungen voraus, die im Konstruieren und Bauen selbstverständlich erworben wird. Dabei setzen sich Kinder immer implizit mit den Gesetzen und Fakten auseinander, die der naturwissenschaftlichen Beschreibung und der technischen Bearbeitung zugrunde liegen. Daran anknüpfend können sie behandelt und bewusst gemacht werden und werden dann in einem Handlungszusammenhang erfahren, in dem sie auf Dauer verstanden werden können.

Anmerkungen zur "Feinmotorik"

Bauen wie Gestalten erfordern gleichermaßen feinmotorische Geschicklichkeit, und umgekehrt entfaltet sich die Feinmotorik, indem man baut, zeichnet, modelliert.

Im Gegensatz zu den Bewegungen, die den gesamten Körper in Anspruch nehmen und als "Grobmotorik" bezeichnet werden, wird die feinmotorische Bewegung nur von einzelnen Körperpartien ausgeführt, insbesondere von den Händen. Ein ausreichender Stand der grobmotorischen Beweglichkeit gilt als Voraussetzung für die Ausbildung einer differenzierten Feinmotorik.

Die durch den aufrechten Gang des Menschen frei gewordenen Hände stellen wahre Wunderwerke dar. Ohne ihre Geschicklichkeit, Beweglichkeit und differenzierte Beherrschung wäre keine menschliche Kultur möglich gewesen. So Vieles und Erstaunliches menschliche Hände zu Wege bringen, sind sie doch viel mehr als "Werkzeuge". Sie sind zugleich Organe der Zärtlichkeit und der gegenseitigen Bindung. Ehe ein Baby greifen kann, streckt es die Hände nach der Mutter aus, wird von ihr hochgenommen und von ihren Händen gehalten. Psychotherapeuten betonen, welch große Bedeutung das "Gehaltenwerden" in früher Kindheit hat. Die das Kind umschließenden Hände bilden eine Art symbolischen Mutterleib. Auch später nehmen wir geliebte Menschen in die Arme, berühren sie mit unsern Händen. Und Menschen, mit denen wir weniger vertraut sind, geben wir zur Begrüßung die Hände. Erst die differenzierte Beherrschung der Hände ermöglicht uns eine menschliche Lebensweise.

Diese Bedeutung drückt sich übrigens auch in der Form aus, wie die Gliedmaßen in den motorischen Zentren des Gehirns repräsentiert werden. Der Körper schrumpft dort zu einem "Homunculus": Mund, Hände, Füße und alle Sinnesorgane nehmen große Flächen in Anspruch, während Rumpf und Extremitäten vergleichsweise winzig erscheinen. Anatomisch sind die Hände von zahlreichen Nerven durchzogen und besitzen im Vergleich zu anderen Körperzonen eine extrem gesteigerte Tastempfindung.

Um die Hände, aber auch die Füße oder den Mundbereich exakt zu steuern, müssen ihre Bewegungen genau auf und mit allen Sinnesempfindungen abgestimmt werden. Für die manuellen Tätigkeiten sind vor allem Augen und Hände zu koordinieren, und wie weit das gelingt, hängt wiederum davon ab, wie weit es geübt wird. Auch hier gilt, dass sich Funktionen und Fähigkeiten erst über den Gebrauch vollständig ausbilden. Das zeigen übrigens auch die Versuche mit Menschenaffen, denen man Finger amputierte. Es kann dann nachgewiesen werden, dass die Projektionsflächen der amputierten Glieder im Gehirn sich verringern, die anderer Finger dagegen entsprechend vergrößern. Aber auch ohne solche etwas schaurigen Experimente ist klar: Der frühzeitige und differenzierte Gebrauch der Hände wird die Beherrschung der Feinmotorik verbessern und beschleunigen.

Ausbildung von Zielstrebigkeit und Ausdauer

Neben der Ausbildung der feinmotorischen Geschicklichkeit werden bei allen handwerklichen und künstlerischen Arbeiten zugleich Eigenschaften ausgebildet, die später den Schulerfolg erleichtern und die Grundlage der Arbeitsfähigkeit des Erwachsenen bilden. Kinder lernen,

  • sich selbst Ziele zu setzen,
  • sie über längere Zeiträume im Auge zu behalten,
  • sich mit den Gegebenheiten der materiellen Welt auseinanderzusetzen und sie umzugestalten und
  • darüber Konzentration, Ausdauer und Zielstrebigkeit zu entwickeln.

Kinder kennen noch kaum eine abgelöste "Leistungsbereitschaft". Ob sie ausdauernd bei der Sache bleiben, hängt davon ab, wie weit sie sich für die Tätigkeiten begeistern werden und in welchem sozialen Zusammenhang die Durchführung steht. Motivation entsteht, wenn sie allein oder mit andern etwas zustande bringen, wofür sie Anerkennung bekommen, und wenn das Produkt einem einsehbaren Gebrauch dient. Die Realisierung ihrer Ideen und Impulse in einem anschaubaren und anerkennbaren Produkt steigert ihre Selbstwahrnehmung und ihre Selbstachtung und wird sie beflügeln, mehr und größere "Arbeiten" anzugehen.

Solch grundlegende Eigenschaften, die später auf alle möglichen Zielsetzungen übertragen werden können, lassen sich im Kindergarten nicht über losgelöste Übungen trainieren. Sie müssen an konkreten und attraktiven Tätigkeiten erworben werden. Handwerkliche und künstlerische Betätigungen eignen sich dafür ganz besonders: Sie fordern die Kinder dazu heraus, den Widerstand, den das Material ihnen entgegensetzt, zu überwinden.

Die notwendige Unterstützung durch die Fachkräfte

Kinder sind dabei auf die unterstützende Hilfe von Erwachsenen angewiesen. Die Fachkräfte können die handwerklichen Fertigkeiten sowie die ausdauernde Motivation sehr befördern, indem sie einfühlsam auf die Ideen von Kindern eingehen und Hilfe bei der Beschaffung von Material und der Durchführung anbieten. Sie können helfen, die Ideen zu konkretisieren, Alternativen dazu vorschlagen, wo sie auf Hindernisse treffen, und den Kindern Handgriffe zeigen, oder wo sie es nicht schaffen oder es zu gefährlich wird, selbst helfend Hand anlegen. Diese Form der Hilfestellung wird ohne weiteres angenommen. Denn anders als beim Spielen stoßen Kinder beim Bauen und Gestalten immer wieder auf Grenzen, wenn sie versuchen, ihre Einfälle und Vorstellungen in Produkten zu realisieren. Anders als im Spiel können ihnen andere Kinder dabei nur bedingt behilflich sein. Spätestens für den Werkzeuggebrauch benötigen sie die Hilfe der Fachkräfte.

3.7.2 Material, Werkstatt, Atelier

Handwerkliches Geschick und künstlerischer Ausdruck werden gefördert, wenn sie im Umfeld der Kinder angeregt und gewürdigt werden. Das bedeutet,

  • dass die Ausstattung und das Material in den Einrichtungen vorhanden und zugänglich ist, das zum Bauen und Gestalten anregt,
  • und es bedeutet zweitens, dass die Fachkräfte die Ideen und Tätigkeiten der Kinder zu unterstützen wissen.

Ausgehen vom Material

Ähnlich wie beim Spielen lassen sich jüngere Kinder zunächst fast ausschließlich vom Material anregen. Beim Erkunden und Erproben seiner Eigenschaften schält sich heraus, was damit anzufangen ist. Die sinnliche Wahrnehmung des Materials ist ein wesentlicher Schritt der Gestaltung, für den Kinder ausreichend Raum und Zeit brauchen und die Fachkräfte Geduld aufbringen müssen. Der Umgang mit den verschiedenen Materialien, ihrer Formbarkeit und den Schwierigkeiten, die bei der Bearbeitung zu bewältigen sind, erlauben einen ersten Zugang zur Naturbearbeitung durch die Technik.

Erst allmählich entwickelt sich die Fähigkeit, sich vorweg schon das Endprodukt vorzustellen, Material danach auszusuchen, das Vorgehen zu planen und seine Realisierung schrittweise zu verfolgen. Im Prinzip sollten Kinder am Ende ihrer Kindergartenzeit in der Lage sein, Absichten zielgerichtet und konsequent zu realisieren. Gemeinsam mit den Fachkräften geplante und durchgeführte Bauvorhaben werden die Fähigkeit befördern, zu planen und das Geplante zielstrebig zu verwirklichen.

Bei Aktivitäten, die von den Fachkräften vorgeschlagen, von Kindern akzeptiert und dann längerfristig angegangen werden, werden Planungsperspektiven und Ausdauer erfahren und eingeübt. Solche projektartigen Tätigkeiten sollten deshalb immer wieder vorgesehen und darauf geachtet werden, dass sie zu einem Ergebnis führen, das sich in einem Produkt vergegenständlicht, das zu gebrauchen ist und darüber Erfolgserlebnisse vermittelt.

Darüber darf ein offenes Vorgehen aber nicht verloren gehen. Das übliche Basteln nach vorgegebenen Mustern steht immer in der Gefahr, die Beweglichkeit und den Einfallsreichtum zu beschneiden. Die Fähigkeit, das Vorgehen und selbst das Ziel zu ändern, sobald sich beim Machen neue Möglichkeiten auftun, sollte erhalten bleiben. Diese Beweglichkeit wird auch später bei jeder produktiven Arbeit gebraucht werden.

Ein reiches Materialangebot bereithalten

Die Einrichtungen sind für künstlerisches Gestalten und für Bastelarbeiten im allgemeinen ausreichend ausgestattet: Stifte, Malfarben, Pinsel, Papier, Karton, Ton zum Töpfern oder einfache Musikinstrumente usw. gehören zur selbstverständlichen Ausrüstung. Dagegen fehlen häufig die gebräuchlichsten Alltagsmaterialien, die obendrein in vielen Fällen so gut wie nichts kosten, sofern man sich die Zeit nimmt, sie zu sammeln: Holzabschnitte, Lehmerde, gebrauchtes Verpackungsmaterial, verschiedene Dosen, Kisten und Fläschchen, zerbrochene Fliesen, Kies, auffallende Steine etc. Der Phantasie sind beim Sammeln kaum Grenzen gesetzt.

Material zum Bauen und Basteln

Hierzu zählt zunächst der sogenannte Zivilisationsabfall unserer "Wegwerf"-Gesellschaft: die Kartons, Schachteln, Dosen, Kunststoffemballagen, Wellpappbahnen und Verpackungsmaterialien noch anderer Art, die im Haushalt anfallen und zur Last fallen.

Hinzukommen Garnrollen, Stoffreste (Textilabfälle), Pillendosen, Kerzenreste, Abfälle aus Tischlereien, Tapetengeschäften, Druckereien (Papierabfälle) und Baufirmen (angestoßene Kunststoffplatten, Kacheln).

Etwas in Vergessenheit geraten sind die klassischen freien Materialien (..), die in Wald und Park gesammelt wurden: Eicheln, Kastanien, Borke, Zweige, Moos und Flechten, Steine und Muscheln (Schnietzel u.a. 1976, S. 18).

Solches Material hat nicht die glatten sauberen Oberflächen des gängigen Bastelmaterials, man kann sich daran schmutzig machen, damit Unsinn veranstalten oder sich auch verletzen. Gerade das aber macht die Attraktivität und die Anregung aus, die von ihm ausgeht: Es sind "Fundstücke" aus der Welt der Erwachsenen, die vielseitig zu gebrauchen sind und immer wieder neuen Verwendungen dienen können. Es lohnt sich, zusammen mit den Kindern auf die Suche danach zu gehen, sei es, dass man auf Ausflügen Naturmaterialien sammelt oder Werkstätten besucht, die sich bereit erklären, überflüssiges Material abzugeben, oder in Supermärkten nach Verpackungsmaterial fragt.

Je vielfältiger und anregender das Angebot an Materialien ausfallen wird, desto einfallsreicher werden die Kinder damit umgehen und desto besser werden sich ihre handwerklichen Fertigkeiten und ihre Ausdauer ausbilden.

Aufbewahrung des Materials

Um zum Bauen und Gestalten anzuregen, sollte das Material möglichst übersichtlich und zugleich einladend aufbewahrt werden. Deshalb darf es nicht, jedenfalls so weit es die Benutzer nicht gefährden kann, in Schränken weggeschlossen werden. Offene geräumige Regale, die den Kindern Einsicht gewähren, ihr Interesse an den gesammelten Gegenständen wecken und zum Anfassen reizen, sind geeigneter. Um eine geordnete Nutzung zu sichern, können (möglichst mit den Kindern) Nutzungsregeln aufgestellt werden. Und natürlich ist alles Material nach Gruppen zu ordnen, so dass die Kinder wissen, wo sie Papier zum Malen oder Werkzeug finden oder wo die Fundstücke aufbewahrt werden, die vom letzten Ausflug mitgebracht wurden.

Platz sollte auch für die Aufbewahrung von Produktionen und Objekten vorgesehen werden. Wo das in den Räumen nicht möglich ist, können in den Fluren Regale mit Fächern aufgestellt werden. Jedes Regalfach bekommt dann das Foto und den Namen des Kindes, dessen Arbeiten sie enthalten.

Ausrüstung der Werkstatt

Zur Bearbeitung des Materials braucht man Werkzeug, das sich möglichst nicht auf eine einfache Werkzeugkiste beschränken sollte. Jede Einrichtung sollte über eine regelrechte Werkstatt verfügen, die neben dem gängigen Werkzeug mit einfachen Werkbänken ausgestattet ist und genügend Raum bietet, um auch mit sperrigen Teilen hantieren zu können. Spielwerkzeuge, wie sie von Spielzeugfirmen angeboten werden, sind dafür kaum zu empfehlen. Sie taugen allenfalls, um den Kleineren einen ersten Zugang zu ermöglichen. Wo sich Kinder ans Werken machen, sind besser die im Fachhandel erhältlichen Werkzeuge zu benutzen, die auch in kleineren Abmessungen angeboten werden: Erstens sind sie haltbarer und es lässt sich damit besser arbeiten. Zweitens drückt sich darin auch aus, dass die kindliche Anstrengung ernst genommen wird, indem sie das gleiche Werkzeug benutzen wie die Großen.

Der Umgang mit Werkzeug verlangt einige Hilfe von Seiten der Erwachsenen. Wie in anderen Bereichen auch, besteht die beste Anregung und Hilfestellung darin, dass die Fachkräfte selbst gerne mit Werkzeug und einfachen Werkzeugmaschinen (Stichsäge, Schlagbohrer, Hobel) umgehen und deren Handhabung beherrschen.

Der Zugang zu den Werkzeugen sollte auch nicht durch übermäßige Vorsicht behindert werden. Selbstverständlich besteht dabei die Gefahr, dass sich Kinder verletzen, und es ist wichtig, für die Verwendung klare Regeln einzuführen, die Verletzungen vorbeugen. Das gilt einmal für das Hantieren mit den Werkzeugen, aber auch für den Umgang mit andern Kindern. Je besser die Kinder in den Werkzeuggebrauch eingeführt werden, desto geringer ist die Gefahr, sich oder andere zu schädigen.

Umgang mit Gefahren in der Werkstatt

Die entscheidenden Sicherheitsmaßnahmen beziehen sich nicht auf den unmittelbaren Umgang mit dem Werkzeug, sondern auf das Verhalten der anderen. Nicht schubsen, nicht stoßen, nicht unbeherrscht vom Tisch aufspringen, nicht mit Werkzeug in der Luft herumfuchteln, nicht damit durch den Raum laufen – das sind die eigentlichen Gefahrenpunkte. (...) Beim Abwägen der Gefahren sollte auch bedacht werden, dass das immer abgeschirmte und ungeübte Kind, wenn es eines Tages dann doch unbeaufsichtigt mit gefährlichem Werkzeug umgeht, viel größeren Gefahren ausgesetzt ist als in dem Falle, wo ein Kind unter Anleitung Erfahrungen im Umgang mit der Gefahr gewonnen hat (Schnietzel u.a. 1976, S. 18).

Das "Atelier"

Neben dem Werken braucht auch künstlerisches Arbeiten einen angemessenen Raum. Da es sich an der Wahrnehmung und der Auseinandersetzung mit dem Material entzündet, kommt es darauf an, dass die Kinder einen Platz haben, der sich mit dieser Tätigkeit verbindet und wo sie die nötige Ausrüstung vorfinden. Denn nach Möglichkeit sollten künstlerische Betätigungen nicht auf vorgesehene Stunden beschränkt werden, sondern das Material dazu auch in den freien Zeiten zugänglich sein, z.B. in Form eines großen Maltisches, auf dem alle nötigen Utensilien zu finden sind. Das kann eine geräumige Ecke im Werkraum sein. Noch besser ist ein eigener Kunstraum, ein "Atelier", das einer Anzahl Kindern gleichzeitig Platz bietet, das Kinder aufsuchen können, wenn ihnen danach ist, das sie andererseits zum künstlerischen Gestalten anregt, wenn sie es betreten.

Material fürs Atelier

Im Atelier findet sich eine Ansammlung der Materialien der unterschiedlichsten Art: Werkstoffe, Materialreste, Papiere und Pappen in allen Variationen, Farben und Pinseln, Naturmaterialien, Plastikreste, Bänder, Schnüre, Strippen, Kugeln, Glimmer, Glitter, Holz, Nudeln, Gewürze, Hülsenfrüchte, Zeitungen, Ton, Knete, wertvolles und wertloses Material aller Art. Ebenso die verschiedensten Werkzeuge und Arbeitsmittel wie Lupen, Spiegel, Mikroskope, Staffeleien, Spachtel, Küchenrolle, Mehlsiebe, Spritztüten, Löffel, Siebe, Gläser etc. Alle Materialien und Arbeitsmittel sollten so präsentiert werden, dass es überschaubar und eine Augenweide ist (Lill 1998, S. 63).

3.7.3 Basteln, Bauen und Reparieren

Das Basteln war immer die eigentliche Domäne der Beschäftigungen im Kindergarten. Bauen von benutzbaren Anlagen oder auch nur Reparaturen gehörte zur Arbeit von Erwachsenen, von der Kinder frei zu halten waren. Und die damit beauftragt wurden, waren meist Männer, die außerhalb der Öffnungszeiten zu Werke gingen.

Bauen ist nicht nur Männersache

Bauen und Werken gilt noch immer vor allem als Männersache. Zwar sind Frauen nicht weniger befähigt, mit Werkzeug umzugehen und handwerkliche Arbeiten auszuführen, aber manche Fachkräfte können das mit ihrem weiblichen Rollenbild nicht vereinbaren, beschränken sich auf textiles Werken oder trauen sich handwerkliche Tätigkeiten schlicht nicht zu. Mangelndes Vorwissen oder fehlende Übung muss sie jedoch nicht davon abhalten, sofern sie eine Neigung dazu spüren. Mit der Übung wächst die Geschicklichkeit nicht anders als bei den Kindern. Und außerdem bieten sie damit den Mädchen ein Vorbild, diese durchaus attraktiven Tätigkeiten nicht den Jungen zu überlassen.

Darüber hinaus lassen sich Außenstehende als gelegentliche Gäste anwerben, interessierte Väter oder Großväter, die mit den Kindern einzelne Arbeiten ausführen. Insbesondere Rentner bieten sich dafür an, die ja häufig über lange handwerkliche Berufserfahrungen verfügen, und man sollte sich davon auch nicht wegen ihrer fehlenden pädagogischen Qualifikation abhalten lassen. "Wenn ein Fachmann oder ein Erwachsener mit handwerklichen Fähigkeiten den Kindern die Handhabung zeigt, sind sie besonders lernmotiviert, weil ihnen diese Zuwendung eines Erwachsenen die Ernsthaftigkeit ihres Tuns bestätigt" (Feiner/Niderle/Michelic 1980, S. 39).

Mit Textilien arbeiten

Die Aufteilung in männlich und weiblich bestimmtes Werken sollte auch in der Gegenrichtung aufgebrochen werden. Zur Ausstattung der Werkstatt gehören eine Nähkiste, möglichst auch eine einfache, für Kinder nutzbare elektrische Nähmaschine und die Materialsammlung hat Stoffe und Stoffreste vorzuhalten.

Abgesehen von kleinen Reparaturen an den eigenen Kleidern lassen sich daraus Decken anfertigen, die die Höhle auskleiden, oder Attribute für die Verkleidungen erfinden. Zwar fällt es Kindern in diesem Alter noch schwer, mit Nadel und Faden umzugehen, aber die Möglichkeit, Stoffe mit geeigneten Klebematerial zu verbinden, erlaubt mit den Stoffresten relativ frei und phantasievoll umzugehen.

Auch hier sollte sich die Beschäftigung nicht auf Mädchen beschränken. Spätestens beim Zurichten eines Segels für das Modellschiff oder dem Erfinden einer Fahne für den Kletterturm werden auch die Jungen dafür zu haben sein.

"Ernsthafte" Arbeiten

In einer Konsumgesellschaft, die fast alle ihre Bedürfnisse über das Kaufen von gebrauchsfertigen Artikeln deckt, gewinnt die Erfahrung, dass Bedürfnisse auch über die eigene Arbeitstätigkeit erfüllt werden können, eine gesteigerte Bedeutung. Über das hergebrachte Basteln kann das nur bedingt erfahren werden, da dabei meist Dinge hergestellt werden, die wenig Gebrauchswert besitzen. Zwar werden die Kinder dafür sehr gelobt, aber zugleich werden die Ergebnisse doch etwas von oben herab betrachtet und sie landen schließlich oft genug in einer Ecke, wo sie still einstauben. Das heißt, Kinder erfahren die Nutzlosigkeit ihrer Anstrengungen, während alles, was ernsthaft gebraucht wird, aus dem Supermarkt beschafft wird.

Warum aber sollten Kinder nicht auch an nützlichen alltäglichen Verrichtungen beteiligt werden? Die Anerkennung solcher Tätigkeiten stärkt ihr Selbstbewusstsein so nachhaltig wie ein gelungenes Bild. Warum kann ein wackelnder Tisch nicht von den Kindern mit regulärem Werkzeug repariert werden? Sicher werden sie das nicht allein zuwege kriegen, aber sie können im Rahmen ihres Interesses und ihrer Fähigkeiten mitarbeiten. Bei einfachen Arbeiten braucht man daraus kein groß angelegtes Projekt zu machen. Es reicht mit dem Werkzeugkasten zu kommen und sich an die Arbeit zu machen (aber eben nicht nach Schließung des Kindergartens, sondern am hellen Vormittag), um einige interessierte Helfer um sich zu scharen. Oder warum sollten, wenn der Gruppenraum gestrichen werden soll, die Kinder (natürlich in Absprache mit den Eltern) dabei nicht mithelfen können?

Bau von Modellen

Unter Basteln versteht man im allgemeinen, dass modellartige Nachbildungen gebaut werden: In einen Schuhkarton werden Türen und Fensteröffnungen geschnitten, innen wird er dann in einzelne Abschnitte unterteilt, in denen mit Stoffen, Holzstückchen, Watte etc. die verschiedenen Räume einer Wohnung eingerichtet werden. Entsprechend kann man aus Holzabschnitten ein ganzes Dörfchen aufbauen oder aus Klopapierrollen einen Fernsehturm zusammenkleben.

Solch verkleinerte Modelle folgen einer Spielperspektive, und sie bieten deshalb den Kindern die Vorteile des Spiels :

  • Sie erlauben eine phantasievolle Gestaltung, die alle realen Vorbilder übergehen kann.
  • Spielideen können ohne große Einschränkungen realisiert werden, ohne dass etwa dauerhafte Haltbarkeit oder Stabilität berücksichtigt werden müssen.
  • Was in der Modellkonstruktion nicht zu realisieren ist, kann durch den spielerischen Umgang ergänzt werden. Der Fernsehturm kann dann auch mit einer Rakete kombiniert werden und sich in den Weltraum erheben.

Bastelarbeiten werden meist in Einzelarbeit angefertigt und können darüber ähnlich wie künstlerische Arbeiten die individuellen Wünsche und Phantasien Gestalt werden lassen.

Bauen "in echt"

Es ist für Kinder aber sehr attraktiv, Konstruktionen "in echt" zustande zu bringen, zu bauen, was man benutzen und sogar begehen kann. Das übersteigt die Fähigkeiten und die Ausdauer einzelner Kinder, sie müssen gemeinsam und unter Anleitung eines Erwachsenen gebaut werden.

Eine wunderbare Gelegenheit zum "ernsthaften" Bauen bieten Anlage und Umbau von Bewegungsbahnen. Aber auch Ablagen, eine Puppenkiste oder eine mobile Leinwand für das Schattenspiel lassen sich mit Kindern ohne großen Aufwand selbst herstellen und dann auch benutzen.

Höhere Anforderungen stellen Bauten im Außenbereich der Einrichtung, indem Anlagen neu angelegt, erweitert oder verändert werden, etwa durch den

  • Bau von Hütten,
  • Von Plattformen oder Kletterturm,
  • Graben einer Höhle,
  • Anlage einer Wasserstelle,
  • Bau eines Lehmofens,
  • Errichtung einer Begrenzungsmauer.

Beim Planen solcher Anlagen können zunächst Modelle als Vorlagen oder Zeichnungen angefertigt werden, die dann auf ihre Realisierbarkeit hin besprochen werden. Die kindlichen Vorstellungen und Wünsche werden dabei an den Anforderungen an Machbarkeit, Stabilität und Benutzbarkeit gemessen. Beim Bauen müssen die Abmessungen genau beachtet, die Konstruktion in der Waagrechten und Horizontalen sauber ausgeführt, die Verbindungen der Bauteile gesichert und die Belastbarkeit geprüft werden. Das heißt, beim Messen und Berechnen werden Erfahrungen mit physikalischen Gesetzen und mit technischen Konstruktionsprinzipien gemacht.

Im Innenbereich können unter Mithilfe der Kinder Zwischenstockwerke eingezogen, Geländer oder Kletterstangen angebracht werden.

Natürlich soll das nicht heißen, die Kinder zu "nützlichen" Arbeiten anzuhalten. Es geht darum, dass sie an einem Beispiel die Erfahrung machen, dass sie handwerkliche Arbeiten kennen und ausführen können, die im Alltag gebraucht werden und ihn verbessern, statt nur Papier zu falten und Blumen zu trocknen. Schließlich wird die "öffentliche" Anerkennung solcher auch in den Augen der Erwachsenen "nützlichen" Tätigkeit das Selbstbewusstsein der Kinder mindestens so sehr aufbauen wie die Anerkennung einer Zeichnung, die danach oft genug in einer Mappe verschwindet (schon weil es einfach nicht genug Wände gibt, um alle Mal- und Bastelarbeiten auszustellen).

Zur Literatur zum Bauen und Werken

Publikationen zur Arbeit im Kindergarten beschränken sich fast ausschließlich auf die überkommenen Bastelarbeiten. Brauchbare Hinweise zu Arbeiten im Innen- und Außenbereich der Einrichtung geben Bücher, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Siehe dazu die Literaturangaben im Abschnitt "Der Raum als Erzieher" und "Naturerleben und Naturerfahrung". Um größere Arbeiten mit Kindern auszuführen, lohnt es sich die entsprechenden Veröffentlichungen zum Werken für Erwachsene durchzusehen und auf die Situation im Kindergarten zu übertragen.

3.7.4 Künstlerisches Gestalten

Bei handwerklichen Tätigkeiten stellen sich auch immer zugleich Fragen, wie die Gegenstände ästhetisch zu gestalten sind. "Ästhetisch" heißt aber nicht unbedingt "schön" im Sinne der Erwachsenen. Es bedeutet vielmehr, dass Kinder ihren sehr persönlichen Eindrücken und Wahrnehmungen in einem Produkt Gestalt zu geben versuchen. Über die Gestaltung werden die Wahrnehmungen verarbeitet und dem Bewusstsein näher gebracht. In diesem Bestreben entfalten Kinder großen Einfallsreichtum und Kreativität.

Künstlerische Schöpfung und Kreativität

Der Begriff der "Kreativität" ist zu einer abgegriffenen Münze geworden. Genau genommen bezeichnet er nicht das, worum es bei einer künstlerischen Gestaltung geht.

Unter Kreativität, wie sie heute als eine "Schlüsselqualifikation" in der Arbeitswelt gefordert wird, wird die Fähigkeit verstanden, alternative Verfahren und Strategien zu finden, indem die vorgefundenen Bedingungen in eine neue Ordnung gebracht werden und darüber zu einem überraschenden, aber effektiveren Ergebnis führen. Kreatives Verhalten zielt auf Problemlösungen in der Produktion wie in der Gesellschaft. Das Vorgehen unterscheidet sich vom rationalen Nachdenken dadurch, dass es auf den raschen assoziativen Einfall setzt, der häufig schneller und umstandsloser zum Ziel führt.

Künstlerisches Schaffen sucht aber nicht elegante Problemlösungen zu finden. Sie ist vielmehr auf die sichtbare sinnliche Gestaltung von Gefühlen, Wünschen, Träumen, Ängsten und Phantasien gerichtet. Sie gestaltet die menschliche Innenwelt und macht sie über die konkrete Gestaltung wahrnehmbar und mitteilbar. Das gilt für das künstlerische Tun der Kinder nicht anders als für die Arbeit professioneller Künstler.

Das Kind als Künstler

Ästhetische Gestaltung erlaubt es Kindern, der gegenständlichen Welt ihren eigenen unverwechselbaren Stempel aufzudrücken, ihre Wahrnehmungen, ihre Sicht und ihre Wünsche darin zu vergegenständlichen. Ähnlich wie das Spiel erlauben künstlerische Gestaltungen, die eigene Innenwelt in eine Form zu überführen, die kommunizierbar und mitteilbar ist. Auch hier entsteht jener "dritte Bereich" zwischen der sozialen Außenwelt und der eigenen Innenwelt, eine vermittelnde Sphäre, die die beiden Bereiche versöhnt, die oft als unvereinbare Gegensätze erlebt werden. Kinder tun sich noch schwer, sprachlich mitzuteilen, was sie in ihrem Innern bewegt und beschäftigt. Umso wichtiger wird es, dass sie es malend und gestaltend zum Ausdruck bringen.

Leichter als in künstlerischen Gestaltungen gelingt das Kindern im Spiel. Aber das kindliche Spiel ist flüchtig, realisiert sich nur im Augenblick des Spielens selbst. Auch kennt das kindliche Spiel kein Publikum. Die künstlerische Gestaltung, die Zeichnung, das gemalte Blatt Papier, das gestaltete Objekt überdauert und es kann Betrachter finden, die es enträtseln und die darin enthaltenen Zeichen verstehen.

Anregung, nicht "Kunstkritik"

Die künstlerische Gestaltung kann zwar auch gelegentlich flott von der Hand gehen, im allgemeinen aber stößt sie immer wieder auf Hindernisse und Schwierigkeiten. Sie liegen im schöpferischen Prozess selbst und in der Auseinandersetzung mit dem verwendeten Material begründet, und gerade an diesen Stellen braucht das Kind Ermutigung und Anregung durch die Fachkräfte, um nicht aufzugeben. Dabei sind offene oder versteckte Urteile zu vermeiden.

Phasen des kreativen Prozesses
  1. Die erste Phase wird als Vorbereitungsphase bezeichnet. Hier werden gedanklich, aber auch materiell Ideen, Materialien, Impulse gesammelt, ohne dass zwischen wichtigen und unwichtigen Sammlungsstücken unterschieden wird. (...)
  2. Die nächste Phase kreativer Prozesse wird als Inkubationsphase bezeichnet. In dieser Phase befasst sich das Kind mit dem gesammelten Material, kombiniert Möglichkeiten, ist quasi "infiziert" von einer Suche nach Lösungen und findet doch noch nicht zu befriedigenden Erkenntnissen, wie es zu einem Ergebnis kommen könnte. Unruhe und Frustration sind die emotionalen Dimensionen dieser Phase.(...)
  3. Auf die Inkubationsphase folgt die Einsichts- und Produktionsphase. Sie beginnt mit jenem ganz und gar unplanbaren und unvorhersagbaren Moment, da sich die Möglichkeiten und Experimente der vorherigen Phasen in eine deutliche Erkenntnis verwandeln. (...) Diese Phase wird in der Kreativitätsforschung als Verifikationsphase bezeichnet. (...) Die gefundene Lösung wird angewandt, erprobt, getestet, geformt, verfeinert und der Umwelt präsentiert (Braun 1998, S. 34-37).

Bewertungen setzen die Kinder einem Leistungsdruck aus, der gerade die Entfaltung der schöpferischen Fähigkeiten behindert. Ihre Produktionen drücken ja gerade aus, was in jedem einzelnen Kind vor sich geht, die Sichtweisen und die Art der Verarbeitung wird deshalb bei jedem anders ausfallen. Und selbstverständlich werden Geschicklichkeit und Ausführung sich sehr unterscheiden. Es kommt dabei vor allem darauf an, dass jedes Kind zu seinem eigenen Ausdruck findet, unabhängig davon, ob es den ästhetischen Vorstellungen der Fachkräfte entspricht. Bei individuell ausgeführten kreativen Tätigkeiten ist deshalb erst einmal jede Normierung und Bewertung zu unterlassen. Entscheidend für jedes Kind ist der Prozess, der Weg, über den seine inneren Vorstellungen auf dem Papier, im Tonklumpen oder was es sonst sein mag, Gestalt annimmt. Das Ergebnis (das bei solchen Arbeiten sowieso kaum "gerecht" zu beurteilen ist) ist demgegenüber nebensächlich, auch wenn manche Eltern "Leistungen" ihrer Kinder bewertet sehen wollen.

Auch wenn inhaltliche und formale Vorgaben möglichst zu vermeiden sind, da sie die Gestaltung der eigenen inneren Bilder behindert, können Tipps und Hinweise den Kindern helfen, ihre Ideen besser zu realisieren. Kinder beginnen oft ohne klare Vorstellungen, lassen sich spontan davon leiten, was ihnen beim Machen einfällt. Der Prozess der Gestaltung bleibt dadurch offen, führt sie aber auch immer an Punkte, wo sie nicht mehr recht weiter zu machen wissen. Dann ist die Hilfe eines Erwachsenen sehr erwünscht. Das geschieht am besten, indem man sich auf ein Gespräch einlässt, nachfragt, wie das Gestaltete gemeint ist und wie es weitergeführt werden soll. "Das Kind zu unterstützen, ihm zu helfen, seiner Phantasie Form zu verleihen bedeutet, so lange mit ihm im Gespräch, im Kommunikationsprozess zu bleiben, bis es selbst die Konkretion seiner Vorstellung gebildet hat" (Braun 1995, S. 146).

Ingeborg Becker-Textor: Kreativität im Kindergarten. Anleitung zu einer kindgemäßen Intelligenzförderung, Freiburg 2001 (10.Auflage)

Wie Kreativität geweckt wird durch den Umgang mit Naturmaterialien, wertlosem Alltagsmaterial, Naturbeobachtung, Gestalten, Spiele, Gespräche

Zeichnen und Malen

Dass Kinder ihre inneren Bewegungen zum Ausdruck zu bringen suchen, zeigt sich sehr anschaulich an der Entwicklung des kindlichen Zeichnens und Malens.

Sobald sie einen Stift halten können, beginnen Kinder mit Begeisterung, auf Blättern Spuren zu hinterlassen: Auf- und Abwärts- und Kreisbewegungen, später auch fahrige unsichere Linien, die aus der Handbewegung heraus entstehen. Was sie begeistert, ist die sichtbare "Lebensspur", die die eigenen Bewegungen auf dem Papier hinterlässt und "Selbstwirksamkeit" erfahren lässt.

Aus den Strichen und Kreisen formen sich nun Figuren, die bei allen Kindern mehr oder weniger in der gleichen Reihenfolge erscheinen: Der Kreis, aus dem kurze Linien wie Fühler heraustreten. Aus den Fühlern werden Arme und Beine und ergeben den Kopffüßler, der dann auch mit Augen und Mund versehen wird, die Hände bekommen Haken, die die Finger andeuten.

Aus dem gleichen unförmigen Kreis entsteht der Baum, der mit dicken auf- und abfahrenden Strichen einen Stamm bekommt. Zunächst fliegt er, bis er sich an der unteren Begrenzungslinie "erdet". Der Kreis, das Umschließende, wird gleichzeitig zum Haus, das deshalb anfangs bauchige Wände und gebogene Fenster behält. Schließlich wird der mit Fühlern versehene Kreis als Sonne an den Himmel gesetzt und die Fühler werden zu langen Strahlen.

Dass die Entwicklung des Zeichnens so gleichförmig und einheitlich verläuft, zeigt, dass Kinder zunächst nicht nach äußeren Eindrücken zeichnen. Auch Kinder, die in Hochhäusern leben, malen die typischen bauchigen Hütten. Auch die Farbe spielt noch eine untergeordnete Rolle. Erst wenn diese typischen Elemente von Kinderzeichnungen versammelt sind, der Kopffüßler, das Haus, der Baum und die Sonne, beginnen sich äußere Eindrücke bemerkbar zu machen, suchen die Kinder immer mehr die Außenwirklichkeit abzubilden. Das erfolgt bei den meisten Kindern erst um das sechste Lebensjahr, ist aber wohl davon abhängig, wie viel Anregung zum Malen sie erhalten.

Gestaltung von Objekten

Auch beim plastischen Gestalten ist es zunächst die Spur, die die Hände in der Knetmasse oder im Ton hinterlassen, und noch keine vorgegebene Gestalt, die in eine greifbare Form gebracht werden muss. Ähnlich werden gesammelte Gegenstände, die durch ihre Formen oder Farben beeindrucken, in zufälligen und überraschenden Kombinationen zusammengefügt, ohne damit konkrete Absichten zu verbinden. Daraus entwickeln sich später die plastischen Arbeiten, für die sich im Arbeitsprozess eine Vorlage herausschält, oder die noch später eine vorweg imaginierte Vorlage realisieren.

Die von älteren Kindern gerne ausgeführten Collagen sprechen diese Erfahrung an. Auch hier ergeben sich überraschende Gestaltungen aus dem spontanen Umgang mit dem Material.

Sicher ist es nicht zufällig, welche Formen und Gestalten sich im Prozess der Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Material herausschälen. Aber zunächst bleibt der Ausdruck tastend und unbewusst, rückt jedoch über die wachsende Beherrschung des Materials und der Bearbeitungstechniken dem Bewusstsein näher, bis schließlich Absichten und Vorlagen schon am Beginn des Schaffens stehen. Und dabei werden die inneren Gestalten deutlicher, werden genauer wahrgenommen und zugleich wächst Zielstrebigkeit und Ausdauer, um sie in mitteilbaren Schöpfungen zu realisieren.

Wertschätzung des Kindlichen Kunstschaffens

Was Kinder dabei an Gestaltungen zustande bringen, muss deshalb auch "ankommen" und ernst genommen werden. Ein nebenbei geäußertes pflichtgemäßes "Schön" kann das Gegenteil dessen bewirken, was es aussagt, weil es auch ein Stück Herablassung signalisieren kann, eine Mischung, mit der sich auch Künstler immer wieder konfrontiert sehen: Ihre Produkte sind ja wie die kindlichen "Beschäftigungen" in den Augen vieler "ernsthafter" Menschen reichlich nutzlos.

Die Sache ändert sich dort, wo eine kunstbegeisterte Erzieherin mit Lust und Liebe selbst malt. Ihre Anerkennung wird für das Selbstbewusstsein der Gelobten ein ganz anderes Gewicht haben und ist für Kinder der beste Ansporn, um ihre künstlerischen Einfallsreichtum zu beflügeln. Natürlich leistet das auch die Anerkennung ihrer "Kunstwerke", wenn Bilder aufgehängt oder ihre Produkte ausgestellt werden. Wo das Gestalten eigenständiger "Kunstwerke" zum Alltag der Einrichtung gehört, macht es dann auch Sinn mit den Kindern Museen oder Künstler in ihren Ateliers zu besuchen. Die Kinder können nun einen "fachmännischen" Blick entwickeln, der ihre eigenen Kreationen wieder befördert und ihre Ausdrucksfähigkeit anregt. Zugleich führt es ihnen vor, wie sie ihre eigenen Schöpfungen öffentlich präsentieren können. Künstlerisches Arbeiten ist auf Kommunikation gerichtet, es ruft nach dem Betrachter, der sie anerkennt und sich in ihm wiederfindet.

Natürlich verfügt keine Einrichtung über so viel Wandfläche, um Gemaltes und Gestaltetes ständig auszustellen. Ohne Probleme aber kann für alle Kinder, die das wünschen, eine Sammelmappe geführt werden, in der ihre Kunstwerke aufbewahrt und jederzeit angesehen werden können. Die Kinder selbst können daran ihre Entwicklungen verfolgen ("Schau mal, das hab ich damals gemacht. Da war ich noch klein"). Und sie können sie Eltern und Freunden zeigen.

Gelegentlich wird es möglich sein, eine regelrechte Ausstellung zu organisieren, zu den dann Außenstehende eingeladen und die mit einem kleinen Fest verbunden wird.

Daniela Braun: Handbuch Kunst und Gestalten. Theorie und Praxis für die Arbeit mit Kindergruppen, Freiburg 1998

Entwicklung des kindlichen Malens und Modellierens. Zahlreiche Vorschläge für Arbeitstechniken und Materialien

Jürgen Wüst/ Ruth Wüst (Hg.): Kunst als Medium im Elementarbereich. Grundlagen – Erfahrungen – Praxisbeispiele, Donauwörth 1999

Begegnung im Kindergarten mit großer Kunst und Umgang mit dem Medium Kunst im Elementarbereich

Kunst als Gruppenaktivität

Da alles künstlerische Gestalten auf den individuellen Ausdruck gerichtet ist, gelingt es im allgemeinen am besten in Einzelarbeit. Es ist dann oft zu beobachten, "dass Kinder, die malen und gestalten, so ,versunken in sich selbst' sind, so ,vertieft' in ihre Arbeit, dass sie sehr stille werden und scheinbar für eine Weile durch nichts ablenkbar sind" (Braun 1998, S. 134). Sie brauchen dann den Raum und die Zeit, ihre Gestaltungen zu Ende zu bringen.

Allerdings tun sie das bevorzugt, wenn neben ihnen auch jemand malt, brauchen also durchaus den sozialen Zusammenhang. Und natürlich vergleichen sie ihre Produkte miteinander. Aber sie bewerten sie dabei kaum, drücken eher aus, ob es ihnen gefällt oder nicht gefällt. Aber auch künstlerische Vorhaben lassen sich mit Kindern als Gruppenarbeit anlegen, zum Beispiel, indem jedes Kind auf einem großen Plakat einen abgegrenzten Raum zum Ausmalen erhält oder auch indem man sich auf ein gemeinsames Thema einigt. Schwieriger wird es sein, die vielen verschiedenen Stile und Einfälle in einer einheitlichen Gestaltung zu verbinden.

Bei Projekten, die mehr handwerklich ausgerichtet sind und bei denen die Brauchbarkeit stärker im Vordergrund steht, lassen sich die unterschiedlichen Fähigkeiten einfacher kombinieren, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. In beiden Fällen können die Arbeiten gemeinsam geplant, vorbereitet und ausgeführt werden. Gruppenaktionen haben den Vorteil, dass man en passant wieder einen einsehbaren Anlass zur Sprachförderung bekommt (die gemeinsame Diskussion) und sich die Kinder bei der Durchführung gegenseitig verständigen und koordinieren müssen (womit das soziale Lernen befördert wird). Warum sollte man beispielsweise, nachdem man beim Renovieren geholfen hat, nicht gemeinsam eine Wand des Gruppenraumes bemalen?

Silke Schönrade: Kinderräume – Kinderträume... oder wie Raumgestaltung im Kindergarten sinn-voll ist, Dortmund 2001

Zur kindgemäßen Gestaltung von Räumen in den Einrichtungen

Bauen, Kunst, Natur und Technik

Es sei abschließend noch einmal darauf hingewiesen, dass über einfache handwerkliche und künstlerische Tätigkeiten wie nebenbei naturwissenschaftliche Grundbegriffe erfahren werden: Es müssen die Relationen von Größen und Mengen richtig eingeschätzt werden, es wird die Wirkung von Hebeln oder der Schwerkraft erfahren, die Mischung von Farben beobachtet werden. Und es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen, mit den Kindern spielerische Umwege zu gehen, die dabei immer wieder auftauchen: Eben nicht gleich die richtige Schraube aus dem Kasten zu holen, sondern die vielen Schrauben durchprobieren zu lassen, bis eine passt, oder am Waschbecken zu erkunden, welche Gegenstände aus dem Gruppenraum schwimmen und welche untergehen etc., auch wenn man hinterher die Sachen wieder zum Trocknen liegen lassen muss.

Tätigkeiten des Bearbeitens und Gestaltens bieten Anlass, über die Herkunft und die Entstehung des Materials zu sprechen. Sowohl der Naturzustand wie die technische Bearbeitung können über Darstellungen in Medien anschaulich vermittelt werden. In Exkursionen können Naturmaterialien selbst gesammelt oder technische Bearbeitungsprozesse in Werkstätten beobachtet werden.

Verständnis für technische Verfahren setzt handwerkliche Erfahrungen voraus, und im Vergleich mit der eigenen handwerklichen Tätigkeit kann überhaupt erst die Arbeitsweise einer Maschine verstanden werden, die dem Menschen die mechanischen Arbeiten abnimmt. Darüber kann dann wiederum verstanden werden, wie sehr die industrielle Fertigung den Reichtum und die Lebensgrundlagen der Bevölkerung vermehren konnte.

Schließlich wird über die ästhetische Gestaltung auch das Streben nach ständiger Verbesserung und Vervollkommnung angelegt, das die Grundlage für die Weiterentwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft liefert. Gerade indem Kinder lernen, Brauchbarkeit und Schönheit miteinander zu verbinden und im gleichen Produkt zu realisieren, werden sie befähigt, später als "innovative" und "kreative" Mitarbeiter an der industriellen Produktion und an der Lösung gesellschaftlicher Aufgaben teilzunehmen.


11.10.2004