Gebildete Kindheit

Handbuch der Bildungsarbeit im Elementarbereich

Teil 3: Die Bildungsbereiche

 

3.3 Bildungsbereich Sprache und nonverbale Kommunikation

Menschliche Kommunikation umfasst mehr als Sprache. Alles zwischenmenschliche Sprechen wird begleitet und umspielt von nonverbalen Signalen, die über Mimik, Gestik und Körperbewegung mitgeteilt werden. Beim Schreiben wird die Mitteilungsebene auf die vom Sprechen abgelösten Schriftzeichen reduziert. Auch in den Medien wird eine stilisierte Sprache gesprochen, die aber eingebettet ist in die Ton- und Bilddarstellung des nonverbalen.Verhaltens.

3.3.1 Kommunikation und Spracherwerb

Kinder übernehmen in den ersten zwei Lebensjahren in erstaunlicher Schnelligkeit und Präzision die komplexen Verhaltensweisen und Zeichensysteme, mit denen sich die Menschen ihrer Umgebung verständigen. Wie Kinder Sprache erwerben, hat viele wissenschaftliche Forschungen beschäftigt, dennoch bleiben viele Fragezeichen. "Bis heute wurde das Geheimnis, wie Kinder ohne didaktische Anleitung das komplizierte Regelwerk Sprache erwerben, nicht geklärt" (Jampert 2002, S. 19).

Warum Sprache erworben wird

Drei Faktoren dürften eine entscheidende Rolle spielen, um den Spracherwerb in Gang zu setzen und in Gang zu halten:

  • Das Kind sucht über die Kommunikation die enge und intensive Bindung an die Person, die es betreut, zu erneuern und zu bestätigen. Anders als die Psychoanalyse ursprünglich glaubte, hängt die gedeihliche Entwicklung nicht nur von der liebevollen Versorgung der körperlichen Bedürfnisse, sondern ebenso sehr von den kommunikativen "Liebesspielen" mit der Mutter ab. Diese primäre Beziehung ist von allem Anfang an von Sprache geprägt. Schon im Mutterleib hört das ungeborene Kind die mütterliche Stimme. Nach der Geburt sind alle "Interaktionen" von sprachlichen Äußerungen begleitet, ihre emotionale Bedeutung verbindet sich mit der "Muttersprache".
  • Die Betreuer des menschlichen Kindes bieten ihm, wie Beobachtungen in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, durch ihr Verhalten stets genau die Anregung, die das Kind auf dem jeweiligen Stand seiner Entwicklung braucht ("Intuitive elterliche Didaktik"). Ein Beispiel: Nicht nur Mütter, sondern alle Personen, die ein enges Verhältnis zum Kind entwickeln, verändern ihr Sprachverhalten in einer Weise, die dem Kind die Wahrnehmung und später den Gebrauch der Sprache erleichtern, etwa indem sie mit überhöhter Stimme und einer Art Singsang sprechen und dem Säugling durch die Kontraste das Hören erleichtern. Voraussetzung für diese unbewusst gesteuerten Verhaltensweisen ist eine intensive und verlässliche Beziehung zum Kind. Bei unsicheren Bindungen droht das fraglose Zusammenspiel beeinträchtigt zu werden.
  • Das Kind seinerseits versteht es bereits, sich auf seine Weise mitzuteilen und sich in die Kommunikationsspiele seiner Betreuer einzufügen. Wie die Säuglingsforschung nachweisen konnte, reagiert es vom ersten Tag an auf menschliche Gesichter, erwartet, dass sein Gegenüber auf die eigenen Aktivitäten reagiert, legt deshalb Gegenständen gegenüber schon bald andere Verhaltensweise an den Tag als Personen und kann seine Erwartungen und Bedürfnisse recht genau zum Ausdruck bringen.

    Kommunikation ist also von allem Anfang an in eine intensive Beziehung eingebettet und sie bestätigt und befestigt immer wieder aufs Neue diese Beziehung.

"Tanz der Koordinationen"

Unter Kommunikation wird im allgemeinen der Austausch von Botschaften verstanden. Im Modell wird das dargestellt, indem ein Sender auf der einen Seite eine mit einem Code verschlüsselte Botschaft durch einen "Kanal" zu einem Empfänger auf der anderen Seite schickt. Dieses Modell ist von der technischen Nachrichtenvermittlung abgeleitet und kann die Kommunikation zwischen Menschen nicht vollständig abbilden. Das zeigt sich schon an den alltäglichen Situationen, in denen belangloser "small talk" stattfindet, mit dem wir wenig mitteilen, aber unsere Gesprächspartner wahrnehmen und in Beziehung zu ihnen treten.

Ein verändertes Verständnis menschlicher Kommunikation, das die wechselseitige Beziehung und ihre Auswirkung auf das Verhalten der Beteiligten in den Mittelpunkt rückt, formulierten die beiden chilenischen Biologen Maturana und Varela: In Analogie zur "Tropholaxis" der staatenbildenden Insekten, die ihre Zusammengehörigkeit über den Austausch von Geruchsstoffen erfahren, sprechen sie von der "Linquolaxis", der durch die Sprachverwendung bewirkten Verbindung menschlicher Individuen, die menschliche Vergesellschaftung überhaupt erst ermöglicht. In einer durch die gemeinsame Sprache bewirkten "Strukturkopplung" werde das Verhalten der einzelnen Mitglieder miteinander koordiniert, und es sei dieser "Tanz der Koordinationen", der die gegenseitige Beziehung herstelle. Sprache ist demnach so etwas wie der Kitt, der menschliche Gesellschaften zusammenhält.

Entscheidend ist unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr, welche Botschaft durch welche "Röhre" geschickt wird, sondern die Tatsache der in und mit der sprachlichen Kommunikation erfolgenden Bindung der einzelnen Individuen untereinander. Die Partner koordinieren über den kommunikativen Austausch ihr wechselseitiges Verhalten. "Unter Kommunikation verstehen wir das gegenseitige Auslösen von koordinierten Verhaltensweisen unter den Mitgliedern einer sozialen Einheit" (Maturana/Varela 1987, S. 210).

Stufen des Spracherwerbs

Zwar versteht schon der Säugling, sich erstaunlich differenziert an der Interaktion mit der Mutter zu beteiligen. Während die Betreuer ihr Verhalten ständig von Sprachäußerungen begleiten, äußert sich das Kind zunächst nonverbal über seinen körperlichen und stimmlichen Ausdruck. Es lernt sich mitzuteilen und darüber seine Beziehungsfähigkeit auszubauen, längst ehe es das erste Wort spricht.

Um mit Hilfe der Sprache zu kommunizieren, müssen aber dann in mehreren Stufen die Voraussetzungen sprachlicher Verständigung erworben werden:

  • Es muss erstens eine rhythmisch-melodische Artikulation ausgebildet werden, die erlaubt, die sprachlichen Laute zu unterscheiden und zu gliedern.
  • Zweitens muss das Dialogspiel in seinen wichtigsten Regeln beherrscht werden, um eine geordnete Folge von Zuhören und Äußern zu sichern.
  • Drittens muss erkannt werden, dass sprachliche Laute Bedeutungen tragen und damit Handlungen und Gegenstände bezeichnet werden.
  • Schließlich müssen Wörter zu ganzen Satzäußerungen verbunden und die dafür gültigen Regeln beherrscht werden.

Zur Artikulation sprachlicher Laute

Die sprachliche Artikulation reift während der Säuglingszeit aus. Bei der Geburt ist der Mund-Rachen-Raum noch zu flach, um Sprachlaute exakt zu formen, erst bis zum zweiten Lebensjahr bekommt er die gewölbte Form, die artikuliertes Sprechen ermöglicht. Über das Plappern und Lallen des Säuglings wird nebenbei auch die Artikulation trainiert und führt zu einer ständig sich verbessernden Beherrschung der Lautbildung. Um einen einzigen Laut zu bilden, müssen jeweils Hunderte von Muskeln im Bereich des Sprechapparates über die Nerven aktiviert und koordiniert werden.

Beim Plappern des Säuglings, das vor allem in Zeiten des zufriedenen Alleinseins erfolgt, wird zunächst mit allen möglichen Lautbildungen gespielt. Das Repertoire umfasst in dieser Phase noch prinzipiell Laute aller menschlichen Sprachen. Erst um den 6. bis 7. Monat werden die muttersprachlichen Laute nachgeahmt und das Repertoire schränkt sich nun auf diese Lautformen ein.

Auch nach dem Spracherwerb sind Kinder oft noch von Klang und Rhythmus mehr beeindruckt als von der Bedeutung eines Wortes. Sie "kauen" frisch gehörte Wörter oder plappern beim Einschlafen Sprachmaterial vor sich hin, das sie untertags gehört haben. Da Rhythmus und Sprachklang auch schon die prägende Hörerfahrung des vorgeburtlichen Lebens ausmachen, zugleich aber die Grundlagen von Musik und Musikalität darstellen, kann die Artikulation und überhaupt die Sprechfähigkeit über rhythmische Bewegung und Musik gefördert werden.

Kinder lieben das Spielen mit Sprachklängen, seltsam klingenden Worten und Reimen. Ihre Artikulationsfähigkeit kann unterstützt werden, indem solche Spiele aufgegriffen und vorgeschlagen werden. Auch im Kindergarten zeigen Kinder noch häufig Probleme in der Artikulation, unterlassen schwierige Laute, sprechen zu schnell und können sich deshalb nicht verständlich ausdrücken.

Einführung in den Dialog

Zwischenmenschliche Kommunikation erfordert das geregelte Hin und Her des Dialogs, das sicherstellt, dass einer redet, die andern zuhören, das aber gleichzeitig jedem Teilnehmer gestattet, sich am Gespräch zu beteiligen.

Das Gesprächsverhalten lernen Kinder, wie schon im Zusammenhang mit der „intuitiven elterlichen Didaktik“ erwähnt wurde, vom ersten Lebenstag an. Kinder werden von ihren Betreuern, ohne dass es diesen bewusst wird, systematisch zum sprachlichen Dialog hingeführt. Sie lernen, mit Bezugspersonen in einen intensiven wechselseitigen kommunikativen Austausch zu treten.

In den Einrichtungen finden sich Kinder aber nicht nur einem einzelnen vertrauten Menschen gegenüber, sondern sind Teil einer großen Gruppe. Sie haben zunächst Schwierigkeiten, ihr Gesprächsverhalten darauf abzustellen. Vor allem fällt es schwer, die vielen und subtilen Zeichen, über die wir im Gespräch das Rederecht verabreden, zu beachten und sich zurückzuhalten, bis sie an der Reihe sind. Es ist wichtig, dass sie lernen, nacheinander und so deutlich zu sprechen, dass sie von allen verstanden werden. Sie lernen es desto besser, je mehr sie die Regeln wechselseitigen Sprechens anwenden müssen, und Gelegenheiten bietet die alltägliche Arbeit im Kindergarten ständig, vom Berichten im Stuhlkreis über die Lösung von Konflikten bis zur gemeinsamen Planung von Aktivitäten. Hilfreich sind dafür übersichtliche Gesprächsrituale, die festlegen, wer in welcher Reihenfolge die Sprecherrolle übernimmt. Der Sprecherwechsel kann durch ein Zeichen vergegenständlicht werden, etwa den Sprechbären, der das Recht verleiht, zu reden, und nach festen Regeln weitergereicht wird.

Mitteilungsebenen der nonverbalen Kommunikation

Wegen ihrer geringeren Sprachbeherrschung beachten Kinder genauer als Erwachsene, was zwischen und neben den Worten zum Ausdruck gebracht wird, und drücken sich ihrerseits stärker über körperliche Mitteilungen aus.

Nonverbale Mitteilungen können sprachliche Aussagen unterstreichen und verstärken, können sie aber auch in Frage stellen und ihnen widersprechen. Eine Erzieherin kann beispielsweise den aufmunternden Satz "Das hast du aber gut gemacht!" in einem Tonfall und mit einer wegwerfenden Geste äußern, die das Gegenteil ausdrückt. Für Kinder können solch widersprüchliche Äußerungen recht bedenkliche Folgen haben. Sie drohen, unsicher und misstrauisch gegenüber den Aussagen der Erwachsenen zu machen. Unter dem Gesichtspunkt der Sprachförderung führen sie dazu, dass Kinder nicht mehr auf die sprachlichen Aussagen hören, sondern die tatsächliche Meinung des Gegenübers aus seinem Verhalten zu erschließen suchen.

Aufgrund der Schulbildung sind wir darauf ausgerichtet, vor allem die sprachliche Mitteilung zu beachten und das Zusammenspiel nonverbaler Signale, zumindest in unserer bewussten Wahrnehmung eher zu übergehen. Die sprachbegleitende Kommunikation umfasst aber eine breite Palette von Mitteilungsweisen oder "Codes":

  • Die Klangfärbung der Stimme, in der sich vor allem die Gefühle des Sprechenden zur geäußerten Botschaft ausdrücken.
  • Die Mimik des Sprechenden, die gleichfalls die sprachliche Aussage kommentiert, sie bestätigt oder abschwächt.
  • Die Geste, die sich in einer symbolischen Bildsprache ausdrückt. Sie taucht in einfacher Form schon vor dem ersten Geburtstag auf, z.B. als Zeigegeste. Mit der wachsenden Spieltätigkeit entwickeln Kinder die Fähigkeit sich oft sehr plastisch über Gesten auszudrücken (indem sie beispielweise über die aufgeblasenen Backen anzeigen, wie dick ihre Apfelsine war).
  • Über die Körperhaltung und den Abstand zu den Gesprächspartnern wird vor allem die Beziehung zum Gesprächspartner ausgedrückt. So beugen wir uns in einer Gesprächsrunde meist vor, sobald wir zu einem Gesprächsbeitrag ansetzen. Oder wir zeigen beim Sprechen die "kalte Schulter" und bringen damit unsere Ablehnung zum Ausdruck.

Auch wenn Kinder mit dem Spracherwerb im Prinzip gelernt haben, Handlungen sprachlich zu benennen, können sie doch nur mühsam aussprechen, was sie bewegt. Die sprachliche Formulierung kostet noch beträchtliche Anstrengungen, die sie gerne umgehen, wenn es sich körperlich ausdrücken lässt. Im Umgang mit Kindern benutzen sie deshalb deutlich mehr nonverbale Mitteilungen als gegenüber Erwachsenen. Und ganz allgemein bleiben ihre Sprachäußerungen allein noch undeutlich, stehen sie doch immer noch in einem unauflösbaren Zusammenhang mit dem nonverbalen Ausdruck, und werden erst in diesem Kontext voll verständlich.

Für die Fachkräfte in den Einrichtungen ist es wichtig, die nonverbalen Signale zu beachten, einmal um zu verstehen, was die Kinder meinen. Zum anderen können sie die Kinder dabei unterstützen, auch diese Äußerungen in Sprache zu überführen, indem sie körperliche Äußerungen über Nachfragen oder Wiederholung in eine sprachliche Form bringen. Sie sollten aber durchaus in der Lage sein, auch in dieser nonverbalen Sprache zu antworten und ihre Sprechweise mit deutlichem Körperausdruck und Gesten zu begleiten. Das erleichtert den Kindern, Sätze zu verstehen, und bietet einen Anreiz, sich am Gespräch zu beteiligen.

Wie Kinder den Sprachcode entschlüsseln

Dass man eine Handlung ausführen kann, um damit eine ganz andere Handlung zu meinen, begreifen Kinder über das Spiel. Beim Spielen werden ständig Symbole gebildet, die anders als das sprachliche Zeichen noch annähernd eine sinnliche Ähnlichkeit mit dem Gemeinten zeigen. Ein Stab lässt sich als Rakete oder als Bleistift benutzen, mit einem alten Sack kann man nicht schreiben, sich aber wohl draufsetzen und auf einer Wolke davon schweben. Die sprachlichen Bezeichnungen haben dagegen keine Ähnlichkeit mehr mit dem Gegenstand, den sie meinen. Sprache ist "abstrakter", aber eben diese Abstraktion wird vorbereitet, indem das Spielsymbol von der Erscheinung und der Verwendung des benutzten Gegenstandes abrückt. Das Spielsymbol stellt insofern eine Vorstufe der sprachlichen Bezeichnung dar, die willkürlich gesetzt wird. Ihre Klanggestalt verrät, von wenigen Klangwörtern abgesehen, nichts über die Eigenschaften der damit bezeichneten Handlungen und Gegenstände.

Die englische Linguistin Linda Ferrier beschreibt sehr anschaulich, wie sich aus dem alltäglichen Umgang mit der Tochter allmählich Bedeutungen ergaben, die zunächst nur für die Beteiligten verständlich waren, allmählich aber zu allgemein verständlichen Sprachäußerungen wurden. Dem ersten vom Kind geäußerten eigentlichen "Einwortsatz" seien aber etwa 2000 Mal alltägliche, in ihrem Ablauf sich wiederholende Handlungen vorausgegangen, die Mutter und Kind Gelegenheit boten, Erwartungen über das Verhalten des anderen auszubilden. "Wenn mir meine Tochter im Alter von 15 Monaten beim Baden die Seife überreichte, konnte ich aus diesem Verhalten unzweifelhaft die Bitte ablesen, ich sollte damit Seifenblasen machen, da wir schon vorher vielleicht 50 Mal damit beschäftigt waren" (Ferrier 1978, S. 472).

Diese ritualisierten Verhaltensweisen können sich zu gestischen Zeichen weiterentwickeln, deren Bedeutungen sich von dem gemeinsamen Kontext lösen und auch für Unbeteiligte annähernd verständlich werden. Dass sie immer wieder beobachtete, wie die Mutter ihre Milchflasche am Kühlschrank auffüllte, veranlasst die Tochter, ihren Wunsch zu trinken über eine Geste mitzuteilen: "Wenn meine Tochter mit 13 Monaten zu trinken wünschte, lief sie in die Ecke der Küche, wo der Kühlschrank stand und steckte ihren Finger in das Loch, das dazu diente, den dahinterliegenden Hebel herunterzudrücken. Ich verstand diese spezielle Geste vollkommen und sie überlebte mehrere Monate, ehe sie von einer sprachlichen Aufforderung abgelöst wurde" (Ferrier 1978, S. 473).

Von Seiten der Erwachsenen werden diese ritualisierten Verhaltensabläufe unwillkürlich mit Lautäußerungen bedacht. "Mein eigenes Verhalten meiner 15-monatigen Tochter gegenüber beobachtend, bemerkte ich, dass ich ,atchoo' sagte, sobald sie nieste, ,Upsadaisy', sobald sie hinfiel, und wenn ich sie wieder aus ihrem Bettchen hob, sagte ich: ,Hallo, mein Liebes. Wo ist mein süßes Mädchen?' " (Ferrier 1978, S. 473).

Diese Lautmuster, die das Kind in den sich wiederholenden Situationen registriert, verbinden sich mit diesen Situationen und werden irgendwann in der gleichen Situation nachgeahmt. Auch dafür ein sehr sprechendes Beispiel: Vor dem 16. Monat zeigte ihr die Tochter den Wunsch nach draußen gelassen zu werden, indem sie mit einem verlangenden ,ähhh' nach dem Türgriff fasste. "Um diesen Zeitpunkt herum bemerkte ich, dass meine typische Reaktion auf diese Bitte darin bestand, meine Interpretation ihrer Äußerung mit der Frage zu testen: ,Do you want to look out?'. Kurz darauf äußerte sie ,look' in genau der gleichen Situation, allerdings als eine Art Frage, und indem sie ihren ,protolingualen' Ausdruck dadurch ersetzte" (Ferrier 1978, S. 474).

Wortäußerungen

Um den zweiten Geburtstag herum beherrschen die meisten Kinder grundsätzlich das System ihrer Muttersprache. Damit ist allerdings der Spracherwerb noch lange nicht abgeschlossen, die Sprachbeherrschung muss in den folgenden Jahren ständig erweitert und verbessert werden. Dazu benötigen sie zwar immer noch die Unterstützung durch Erwachsene, die sich auf ihre Sprachkenntnisse und ihr Sprachverständnis einstellen. Sie entwickeln aber auch wirksame Strategien, um ihre sprachlichen Fähigkeiten selbständig zu verbessern und sich an den erwachsenen Sprachgebrauch anzunähern.

Schon die ersten Wortäußerungen wurden ja nicht, wie es oberflächlich erscheinen mag, in Nachahmung der erwachsenen Äußerungen gebildet. Es sind vielmehr die wichtigsten Lautfolgen, die in wiederkehrenden Situationen gehört und mit diesen Situationen verbunden werden. "Trinken" wird deshalb zunächst nicht allein das Trinken bezeichnen, sondern kann das gemeinsame Frühstück meinen, eben die Situation, in der Trinken eine hervorragende Rolle spielt. Wortbedeutungen werden also von Kindern nach ihrem Erleben konstruiert und dann versuchsweise angewendet. Kinder nehmen allerdings zunächst nur die hervorstechenden Lautmerkmale wahr und werden, um sich die Artikulation zu erleichtern, nur diese entscheidenden Laute wiedergeben, also etwa statt trinken "tinken" sagen.

Zunächst sprechen die Kinder in sogenannten "Einwortsätzen", deren Sinn sich aus dem Kontext erschließt: Das Wort "Auto" kann je nach der Situation, in der es geäußert wurde, bedeuten, dass es ein Auto gesehen hat, dass es ein Spielzeugauto haben will oder dass es mit dem Auto fahren möchte. Sobald zwei solcher "Wörter" in einer Äußerung auftauchen, stellt sich das Problem der Verknüpfung und damit die Frage nach den grammatischen Regeln der Sprache.

Satzkonstruktionen

Kinder gehen sowohl bei der Wortbezeichnung wie bei der Verknüpfung von Wörtern so vor, dass sie aus dem gehörten Sprachmaterial eine Regel konstruieren (z.B. die Situation des Frühstücks mit der Lautfolge "tinken" verbinden) und diese Konstruktion in der entsprechenden Situation wieder anwenden. Diese Regeln beziehen sich auf die Bildung von Mehrzahl, Vergangenheitsformen usw. (Morphologie) sowie auf die Verbindung mehrerer Wörter zu einer Satzäußerung (Satzbildung). Im sprachlichen Umgang mit den Erwachsenen, die die Neigung haben, die kindlichen Äußerungen "richtig" zu wiederholen, bewähren sich die kindlichen Konstruktionen, oder wo sie das nicht tun, werden neue Ausdrucksweisen konstruiert, die das erwachsene Beispiel zur Vorlage einer neuen Konstruktion nehmen. Kinder verfahren also nach Versuch und Irrtum, bilden Hypothesen und wenden sie an, um zu sehen, wie weit sich damit kommen lässt. Auf diese Weise nähern sie im Laufe der nächsten Jahre den eigenen Sprachgebrauch mehr und mehr dem allgemeinen Sprachgebrauch an, indem sie die eigenen Äußerungen mit denen der Erwachsenen oder (älteren) Kinder vergleichen, aus dieser Beobachtung sprachliche Regeln ableiten und diese Regeln dann wiederum über den Vergleich mit anderen korrigieren. Deutlich abzulesen ist das an den fehlerhaften Ableitungen: "Er gingte". Die Weise, wie sich Kinder Sprache aneignen, stellt ein sehr anschauliches Beispiel kindlicher Selbstbildung dar: Sie konstruieren aufgrund ihrer Wahrnehmungen und Beobachtungen ihre eigene Sprache.

Die von den Kindern aus ihrem Sprachumgang abgeleiteten Regeln können zu "Übergeneralisierungen" oder auch zu "Untergeneralisierungen" führen. Im ersten Fall wird die Regel auf Bereiche angewendet, für die sich nicht gelten (Beispiel: "Er hat mich angezieht"), im zweiten Fall wird die Regel nicht ausreichend angewandt (Beispiel: "Er hat es wegnehmen").

Solche "Fehler" müssen nicht korrigiert werden, sie zeigen ja gerade, dass Kinder die Regelhaftigkeit des sprachlichen Systems zu verstehen beginnen. Beim Sprechen mit dem Kind dürfen sie aber auch nicht wiederholt werden, da sie sich sonst als regelgerechte Form einschleifen können. Sinnvoll im Umgang mit Kindern ist dagegen die sprachliche "Extension". Das heißt, die kindliche Äußerung wird aufgenommen und sprachlich umfangreicher ausgeführt. (Als Antwort auf: "Das habe ich geseht", kann der Erwachsene fragen: "Was hast du denn gestern auf der Straße gesehen?").

Wie weit Vorschulkinder die Beherrschung ihrer Muttersprache ausbauen und verbessern können, hängt also zunächst davon ab, wie viel Sprache ihnen angeboten wird, wie ausführlich und verständlich dieses Sprachmaterial ausfällt und wie weit sie selbst in einsehbaren Handlungssituationen sich sprachlich verständigen wollen. Dabei werden sowohl die verständliche Aussprache wie der Wortschatz und die grammatischen Verbindungsregeln selbsttätig kontrolliert und verbessert.

Die kulturelle Teilhabe durch die Sprache

Die Sprache erweitert schlagartig den Handlungsspielraum des Kindes. Statt körperlich handelnd auf die Umwelt einzuwirken, können sie das jetzt über das Sprechen tun und Wirkungen auch über unerreichbare Entfernungen zustande bringen.

Mit der Sprache aber verändert sich auch die Wahrnehmung. Das vorsprachliche Kind erfährt alle Handlungen und Dinge über den individuellen Gebrauch, den es davon macht und machen kann. Je nach seiner Erfahrung haben die Dinge dabei für jedes Kind einen eigenen Ausdruck und eine eigene Tönung. Die sprachliche Bezeichnung jedoch erfasst nicht die spezifischen körperlich-sinnlichen und emotionalen Bedeutungen, die sich aus dem eigenen Umgang ergeben, sondern sie transportiert allgemein gültige Bedeutungen, die in der sprachlichen und kulturellen Umgebung des Kindes verbindlich sind. Darüber erfährt das Kind die Werte und Bedeutungen seiner Kultur und kann an ihnen teilhaben. "Das Kind findet Eingang in eine größere Kulturgemeinschaft, aber mit dem Risiko, die Kraft und Ganzheit des ursprünglichen Erlebens einzubüßen" (Stern 1992, S. 251).

Denn die gängigen sprachlichen Bezeichnungen treffen seine individuelle und körperliche Wahrnehmung nur teilweise, nämlich nur so weit, wie sie mit den verbindlichen kulturellen Auffassungen in Übereinstimmung stehen. Die sprachliche Bezeichnung schneidet aus dem ganzheitlichen Erleben des Kindes sozusagen diejenigen Qualitäten und Eigenschaften heraus, die die Sprache wiederzugeben erlaubt. Alle anderen Wahrnehmungen werden ausgeklammert und drohen im Unbewussten zu verschwinden. "Mit der Entwicklung der Sprache werden die Kinder dem eigenen persönlichen Erleben entfremdet" (Stern 1992, S. 258). Die sprachlich nicht benennbaren Empfindungen werden, wo sie nicht unterdrückt sind, weiter über den emotionalen körperlichen Ausdruck mitgeteilt. Auch darum ist es wichtig, dass sprachliche Förderung Bewegung und Darstellung einschließt und auch nonverbale Äußerungen als Mitteilungen beachtet und berücksichtigt werden. In ihnen kommen sehr individuelle und für das Kind wichtige Bedeutungen zum Ausdruck.

"Die andere Seite der Medaille"

Der Spracherwerb kann Zusammengehörigkeit und Nähe ungemein stärken. Tatsächlich stellt jedes neu erlernte Wort ein Nebenprodukt der Vereinigung zweier Subjektivitäten in einem gemeinsamen Symbolsystem dar, eine Erschaffung gemeinsamer Bedeutungen. Mit jedem Wort stärken die Kinder ihre innere Gemeinsamkeit mit der Mutter und später mit den anderen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft, wenn sie entdecken, dass ihr persönliches Erfahrungswissen Teil eines größeren Wissenszusammenhanges ist und sie durch eine gemeinsame kulturelle Basis mit andern Menschen verbunden sind.

(...) Die Sprache (greift sich) ein Stück aus dem Konglomerat von Gefühl, Empfindung, Wahrnehmung und Denken, welches das globale nonverbale Erleben konstituiert, heraus. Dieses Stück wird durch den Prozess der Sprachbildung transformiert und entwickelt sich zu einer von dem ursprünglichen globalen Erleben isolierten Erfahrung .

Für Sonderfälle gibt es keine Begriffe. Wörter beziehen sich auf die Kategorien von Dingen (Stern 1992, S. 244, 248, 251)

Sprache und Beziehung

Sprache ist zunächst an das zwischenmenschliche Gespräch und das gemeinsame Handeln gebunden. Die Sprachbeherrschung kann deshalb nur in der Begegnung und dem Austausch mit Anderen gelernt und verbessert werden. "Der Gebrauch der Sprache lässt sich nur durch ihren kommunikativen Einsatz lernen" (Bruner 1987, S. 101).

Es ist aber nicht nur die Menge und Qualität sprachlichen Angebotes, die die Sprachbeherrschung beeinflusst. Alles mündliche Sprechen ist, zwischen Erwachsenen nicht anders als zwischen Kindern, stets durchtränkt und bestimmt von der Beziehung zwischen den Sprechenden: Über zahlreiche verbale und nonverbale Zeichen wird im Gespräch mit dessen Inhalt immer auch über die wechselseitige Beziehung verhandelt. Anders als beim Erwachsenen, der zumindest in seiner bewussten Wahrnehmung vor allem auf die sachliche Aussage bezogen ist, steht für Vorschulkinder die im Gespräch realisierte Beziehung im Vordergrund: Was sie zum Sprechen motiviert und ihr Sprechen herausfordert, ist in erster Linie die Herstellung einer gelingenden Beziehung und einer gemeinsamen Handlung. Das liegt einmal schon an der geringeren Fähigkeit, Sachaussagen ohne weiteres und vollständig zu verstehen oder zum Ausdruck zu bringen, die ihre Aufmerksamkeit stärker auf die (eher nonverbalen) Signale lenkt, über die die Beziehung definiert und reguliert wird.

Entscheidender aber ist ihre emotionale Situation: Das Kindergartenkind macht seine ersten Schritte aus dem vertrauten Umfeld des "Primärmilieus" hinaus, in dem es eine intensive (oder eben auch unzureichende) Beziehung zu seinen Betreuern erfuhr. Sobald es nun mit fremden Menschen in Kontakt tritt, wird es sich nach dem zu Hause übernommenen Modell verhalten, mit ihnen nach diesem Vorbild in Beziehung zu treten suchen und darüber seine Beziehungsfähigkeit ausbilden, die sich dann gegen Ende dieses Altersabschnittes in einem Verhaltensmuster verfestigen wird (das in der Psychoanalyse nur auf die Eltern bezogen als "Ödipuskomplex" beschrieben wird). Die Jahre, die Kinder im Kindergarten verbringen, sind Jahre des systematischen Erprobens und Ausdifferenzierens der eigenen Beziehungsfähigkeit, sowohl im Umgang mit Erwachsenen (ErzieherInnen, äußerhäusliche Bekannte, Fremde) wie gegenüber den Gleichaltrigen (wo diese Beziehungen vor allem im Spiel aufgebaut werden). Um zu sprechen und damit die sprachlichen Fähigkeiten zu üben, müssen Kinder den Antrieb und die Motivation haben, sich mitzuteilen. Und die entscheidende Motivation liefert das Anknüpfen und Befestigen von Beziehungen, die zu einem lustvollen und gemeinsamen Handeln führt.

Auch wenn das gemeinsame Handeln sich auf die gegenständliche Außenwelt richtet, also auf Objekte bezogen ist, geht es um die durchaus subjektive und emotionale Wahrnehmung und Behandlung dieser Objekte, ihre Aneignung erfolgt mit und im Verhältnis zu den Gesprächspartnern. "Die ,Dinge', die sie dabei erfahren, sind keine ,Dinge an sich', sondern ,Dinge in einem Handlungszusammenhang', ,Aktionsdinge', Subjekte und Objekte sind in ,Gesamtverhaltensweisen' miteinander verbunden" (Schäfer 2003, S. 10). Auch über die sprachlich abgestimmten Handlungen in der materiellen Außenwelt werden die Beziehungen zu den mithandelnden Personen verhandelt, und die Qualität dieser Beziehungen färbt auf die Objektwelt ab.

Sprachlernen und Beziehung

Mit Beginn des Kindergartenalters haben sich Kinder so weit von den Bezugspersonen gelöst, dass sie in der Lage sind, auch Trennungen auszuhalten. Sie haben innere Repräsentationen von den Bezugspersonen erworben, die sie von ihnen unabhängiger machen. Kinder können jetzt andere Erwachsene, also z.B. auch die Erzieherinnen, als Bezugspersonen anerkennen, d.h. als Personen, die ihnen für ihre Erkundung der Welt den notwendigen Rückhalt und die notwendige Sicherheit vermitteln. Sprache kann dabei zunehmend zum Mittel der Aufnahme und Sicherung von Beziehungen werden. Um dem Kind Entwicklungsschritte zu ermöglichen, muss die Beziehung so gestaltet sein, dass sie dem Kind die notwendigen Freiräume lässt, d.h. sie muss Sicherheit bieten ohne bindend oder fordernd zu sein. (...)

Sprachliches Lernen erfolgt dann, wenn ein Kind sich mit seiner sozialen Umgebung austauschen möchte, wenn es seine Wünsche, Erlebnisse, Bedürfnisse usw. mitteilen und die Aussagen des Gegenübers verstehen möchte. Mit anderen Worten: das Kind braucht eine oder mehrere Personen, die ihm ein Gegenüber bieten, mit dem es sich zu kommunizieren lohnt. Wesentlich ist damit auch das Vertrauen, welches das Kind dieser Person entgegenbringt. Gerade Kinder, die aufgrund von Problemen im sprachlichen Bereich häufig Mißerfolgserlebnisse durch Verständigungsschwierigkeiten haben, benötigen die Sicherheit, dass Kommunikationsversuche prinzipiell als solche akzeptiert werden. Das heißt (...), dass auf den Inhalt ihrer Äußerungen reagiert wird und nicht auf deren Form (Kolonko 1996, S. 123/24).

3.3.2 Sprachförderung im Kindergarten

Sprachförderung kann am Interesse an menschlichen Beziehungen anknüpfen. Sie darf sich aber gerade deshalb nicht auf sprachliches Training beschränken, sondern hat die lebendige körperliche, gestische und sprachliche Kommunikation zu erweitern, die Kinder spontan im Umgang mit Erwachsenen und Gleichaltrigen benutzen.

Prinzipiell können vier Bereiche unterschieden werden, die die Fachkräfte beim Sprachverhalten der Kinder zu beobachten haben und die bei der Sprachförderung zu berücksichtigen sind:

  • Die "kommunikative Kompetenz", d.h. die Fähigkeit, die Regeln einzuhalten, die wir beim mitteilenden Sprechen erwarten,
  • Die angemessene und für Andere verständliche Artikulation der Sprachlaute sowie rhythmische Untergliederung längerer Äußerungen,
  • Umfang und inhaltlich zutreffender Gebrauch des Wortschatzes,
  • Die "Satzbildungsfähigkeit", also die regelgerechte Verknüpfung von Wörter zu ganzen Sätzen.

Die wachsende Sprachbeherrschung wird von dem Wunsch vorangetrieben, sich sprachlich mitteilen zu können, darüber in Beziehung zu Kindern und Erziehenden zu treten und sich über gemeinsame Aktivitäten zu verständigen. Es kommt deshalb zunächst vor allem darauf an, dass sich Kinder überhaupt äußern. Was sie mitteilen möchten, und das Motiv, warum sie es sagen, ist wichtiger als die sprachliche Form, in die sie es kleiden. Je mehr ein Kind bereit ist, zu sprechen, je mehr es auszudrücken versucht, desto leichter wird es ihm mit der Zeit fallen, die korrekten sprachlichen Formen und Bezeichnungen zu benutzen. Häufig kostet das Ausformulieren der gewünschten Aussagen Kindern aber noch viel Mühe. Man muss ihnen Zeit dafür lassen. Sie können diese Anstrengung nur dann durchhalten, wenn ihnen in Ruhe zugehört wird, und sie trotz aller Schwierigkeiten ausreden dürfen.

Karin Jampert: Schlüsselsituation Sprache, Opladen 2002

Kindlicher Spracherwerb, Spracherwerb bei Mehrsprachigkeit und Formen der Sprachförderung im Kindergarten

Was Sprachlernen voranbringt

Sprachlernen – ganz gleich unter welchen Bedingungen und ungeachtet der unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen, welche all diese Kinder individuell mitbringen – beschränkt sich also niemals ausschließlich auf die Handhabung des sprachlichen Formenrepertoires – wie Artikulation, Syntax, Grammatik, Wortschatz und Begriffsbildung.

Sprachlernen – ganz gleich in welcher Sprache oder in welchen Sprachen – bezieht sich immer auf das Kennenlernen und Handhabenlernen der Möglichkeiten, eigene Mitteilungsinhalte und Mitteilungsabsichten für andere verstehbar und verständlich darzustellen und erfolgreich zu kommunizieren. (...)

Nur in der erfolgreichen Darstellung eigener Mitteilungsinhalte und Mitteilungsabsichten für andere, dem Gelingen, die Mitteilungsinhalte und Mitteilungsabsichten anderer zu verstehen, wird letztlich die Sinnhaftigkeit und die Notwendigkeit erfahrbar, welche die Kinder motiviert, die eigenen sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen (Holste 2004, S. 209).

Sprachverhalten der Fachkräfte

Das Sprechen von Kindern ist noch immer eng mit Tätigkeiten und Handlungen verbunden. Sätze können Handlungen ersetzen, neue Handlungen veranlassen, geplante Handlungen in Frage stellen, sie aber auch überlegter und effektiver gestalten. Tätigkeiten zu besserer Wirkung zu bringen, ist ein wichtiges Motiv, sich sprachlich zu verständigen.

Die Fachkräfte können die sprachlichen Äußerungen fördern, indem sie stumme Aktivitäten der Kinder sprachlich kommentieren. ("Du hast einen Bauklotz quer drüber gelegt, jetzt wackelt das gar nicht mehr"). Ebenso können sie ihre eigenen Handlungen in sprachlichen Äußerungen verdoppeln ("Ich setze jetzt noch einen gelben Baustein ganz vorsichtig oben auf den Turm"). Die "redundante" doppelte Botschaft wird besser verstanden, weil bereits die Handlung oder die Geste den Sinn des Gesagten im Ansatz verständlich macht. Der geäußerte Satz wird sich besser einprägen. Insbesondere sprachlich zurückgebliebenen oder Kindern gegenüber, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, sollte deshalb in erkennbaren Handlungssituationen und mit deutlichen Gesten gesprochen werden.

Es ist dagegen zu vermeiden, fehlerhafte Sprachäußerungen zu verbessern. Kinder können dadurch entmutigt werden und das nächste Mal stumm bleiben. Besser ist es, auf die Selbstkorrektur zu vertrauen. Wo die kindliche Äußerung indirekt wiederholt wird, wird ein Muster vorgegeben, nach dem sich das Kind richten kann. Beim sprachlichen Umgang mit den Kindern sollten die Fachkräfte als Faustregel beachten, dass sie einerseits in kurzen verständlichen Sätzen sprechen, andererseits aber auch stets etwas über dem sprachlichen Niveau der Kinder bleiben und damit Anreize bieten, die Sprachkompetenz zu erweitern.

Sprachstörungen

Wenn Kinder deutliche Sprachauffälligkeiten zeigen, können dafür sehr unterschiedliche Ursachen verantwortlich sein. Beispielsweise kann eine fehlerhafte Artikulation darauf zurückgehen, dass die Hörfähigkeit eingeschränkt ist und das Kind seine Äußerungen nicht mit andern abgleichen kann. Ebenso gut ist es möglich, dass eine Beeinträchtigung der motorischen Sprachzentren im Gehirn vorliegt oder die Sprechwerkzeuge nicht genügend ausgebildet sind. In vielen Fällen gehen geminderte Sprachbeherrschung oder mangelhaftes Sprechen aber darauf zurück, dass die frühen Beziehungen problematisch verliefen und damit auch der normale Spracherwerb beeinträchtigt wurde. Solche Diagnosen können aber nur von ausgewiesenen Fachleuten gestellt werden, um eine angemessene Behandlung oder eine Fördermaßnahme in die Wege zu leiten.

Ansätze der Sprachtherapie

Klassischerweise dominieren in der Sprachtherapie die sogenannten übungstherapeutischen Ansätze, die darauf verweisen, dass dieser sprachfördernde Zugang aus der Medizin hervorgegangen ist. Nach einer Diagnosestellung, z.B. hinsichtlich einer Artikulationsstörung, wird eine entsprechende Behandlung indiziert. Sprachtherapie heißt dann, dass in künstlichen, weitgehend hoch strukturierten Situationen mit einem bestimmten Methodenrepertoire Sprachlernen initiiert wird. Selbstverständlich wird auf ein spielerisches Vorgehen geachtet, wobei bekannte Spielformen wie Memory, Lotto, Domino usw. hauptsächlich Berücksichtigung finden. Schwerpunkt des Repertoires bilden somit zweidimensionale Materialien, ansprechende Bilder und Fotos, die den zu therapierenden Laut oder die gewünschte Satzstruktur in immer neuen Varianten möglichst häufig thematisieren. (...)

Ziel dieses Vorgehens ist es, in der Übungsstunde so viel sprachliche Sicherheit zu gewinnen, dass der Transfer in die Alltagssprache gelingt. (....)

Als Kritik an dieser Form der Übungstherapie entwickelte sich der sensomotorische Ansatz. (...) Sein Augenmerk liegt auf den Basisfunktionen der Sprache und auf realen dreidimensionalen Therapiegeschehnissen. (...) Direkte sprachtherapeutische Interventionen werden in diesen Konzeptionen gänzlich abgelehnt, oder sie finden erst am Ende des Therapieprozesses Verwendung.

Ebenfalls Kritik an den übungstherapeutischen Grundlagen formulierte in den Achtzigerjahren ein linguistisch-kommunikationstheoretisch fundierter Ansatz. Er beanstandete die hohe Künstlichkeit, die die Sprache in diesen übenden Verfahren innehat.(...) Im Mittelpunkt eines solchen Konzepts steht die freie, natürliche Sprechlernsituation, wie wir sie aus Mutter-Kind-Dialogen kennen. Es wird versucht im Rahmen von Spielsituationen, die in der Regel handlungsorientiert sind, natürliches Interaktionsverhalten in die Therapie zu integrieren. (...) Diese im Dialog gewonnenen sprachlichen Fähigkeiten sollten schließlich dem Kind auch in Dialogen außerhalb der therapeutischen Spielsituation zur Verfügung stehen (Holtz 1997, S. 45/46).

Trainings- und Förderstunden in der Einrichtung

Bei weniger auffälligen Symptomen können Förderstunden helfen, die nach Programmen vorgehen, die eigens für die Arbeit in den Einrichtungen entwickelt wurden. Dabei ist allerdings zu beachten,

  • dass solche Programme immer nur bestimmte isolierte Fähigkeiten üben und
  • dass der Erfolg davon abhängt, ob die Kinder zu den Übungsaufgaben motiviert werden können.

Ein Beispiel: Die Schulung der "phonologischen Bewusstheit", wie sie mit dem "Würzburger Programm" erreicht werden soll, dient der Segmentierung und damit der exakten Wahrnehmung einzelner Laute innerhalb von Worten. Sie kann, sofern die Kinder die spielerischen Lautübungen des Trainingsprogramms mitzumachen bereit sind, eine genauere Unterscheidung der Laute schulen, aus denen sich Worte zusammensetzen. Die differenzierte Lautdiskrimination schafft die Voraussetzung, um diese "Phoneme" beim Lesen aus Buchstaben zu entnehmen und beim Schreiben in Buchstaben umzusetzen. Das Programm kann damit die Artikulationsfähigkeit verbessern und eine wichtige Vorbereitung für das Lesen und Schreiben leisten. Andere Bereiche der Sprachbeherrschung werden dabei nicht gefördert.

Petra Küspert/ Wolfgang Schneider: Hören, Lauschen, lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter, Göttingen 2000 (2. Auflage)

Begründung für das Trainingsprogramm und eine Sammlung von Sprachspielen, die in den Förderstunden eingesetzt werden können.

Individuelle Zuwendung für sprachauffällige Kinder

In jedem Fall darf sich die Förderung von Kindern, die Sprachauffälligkeiten zeigen, nicht auf wenige Förderstunden beschränken. Sie benötigen zugleich die laufende Unterstützung im alltäglichen Umgang mit Kindern und Fachkräften.

Es fällt gerade diesen Kindern zunächst leichter, mit einigen wenigen Personen zu sprechen, mit denen es etwas bewerkstelligt. Es ist deshalb zu empfehlen, so weit es geht, sich immer wieder gesondert Kindern zuzuwenden, die mangelhafte Sprachbeherrschung zeigen, sich an ihren Spielen zu beteiligen, ihre Hantierungen zu begleiten und dabei mit ihnen zu reden. In der größeren Gruppe, etwa im Stuhlkreis, werden solche Kinder im allgemeinen wenig sprechen. Wo sie Ansätze zum Reden machen, ist darauf zu achten, dass sie dazu ermuntert werden und auch ausreden dürfen. Die Erzieherin sollte sie dann auffordern, sich zu äußern, indem sie ihm etwa den "Sprechbären" übergibt.

Sprachfördende Spiele

Seit einigen Jahren nimmt der Anteil an Kindern in den Einrichtungen, die Schwierigkeiten beim Sprechen und Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung zeigen, kontinuierlich zu. Die Ursachen sind sicher vielfältig, aber eine wesentlicher Grund dürfte darin zu suchen sein, dass mit vielen Kindern zu Hause schlicht zu wenig gesprochen wird, sie andererseits zu lange mit Medien konfrontiert sind, die eben nicht antworten und deshalb die Sprachfähigkeit kaum fördern können.

Um dem zu begegnen, werden in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen sprachfördernde Spiele vorgeschlagen, die in den Einrichtungen eingesetzt werden können, um die Sprachbeherrschung zu verbessern. Sie sind im wesentlichen von logopädischen Verfahren abgeleitet. Über Wahrnehmungsübungen, Lautspiele, Lieder und Reime, über Abbildungen, die zur Wortschatzerweiterung genutzt werden, und dergleichen Material sollen Artikulation, Satzbildung, Wort- und Begriffsbildung gefördert werden. Solche Spiele können durchaus, immer unter der Voraussetzung, dass Kinder sie mit Vergnügen mitmachen, die Sprachbeherrschung in einzelnen Aspekten verbessern. Es darf darüber aber nicht vergessen werden, dass man sich dabei in ähnlich künstlichen Situationen bewegt wie bei sprachtherapeutischen Sitzungen und die Lerneffekte erst noch auf den alltäglichen Umgang übertragen werden müssen. Sprachförderung in den Einrichtungen kann sich deshalb nicht auf Sprachspiele beschränken. Entscheidend bleibt immer die Förderung im alltäglichen Umgang mit und zwischen den Kindern, die davon abhängt, wie und in welchem Umfang mit den Kindern gesprochen wird. Nur wenn Kinder sprechen und sich mitteilen wollen, werden sie auch besser sprechen lernen.

Sprachförderung durch Beziehung

Sprachlernen und damit auch die Unterstützung sprachlichen Lernens kann nur in sinnvollen Kommunikationssituationen erfolgen. Basis einer von allen Beteiligten als wichtig erachteten Kommunikation sind bedeutungsvolle Beziehungen. Diese Feststellung erscheint fast banal, sie ist es aber dennoch wert, immer wieder betont zu werden, da gerade auch "Sprachförderung" im Kindergarten häufig missverstanden wird als sprachliches Üben. In verschiedenen neueren Publikation zur "Sprachförderung" im Kindergarten finden sich prinzipiell sinnvolle Anregungen zur Unterstützung des kindlichen Spracherwerbs. Ob diese Anregungen (Spiele, gemeinsame Aktivitäten) sprachunterstützend wirken, hängt jedoch wesentlich von der Qualität der Kommunikation innerhalb der gemeinsamen Spielsituationen und damit von der Qualität der Beziehung ab (Kolonko 1996, S. 123).

Rose Götte: Sprache und Spiel im Kindergarten. Praxis der ganzheitlichen Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule, 2002 (9. Auflage)

Nach Themenkreisen geordnete Sammlung von Vorschlägen zu einer ganzheitlichen Sprachförderung: Umweltbegegnung, Rollenspiel, Geschichten, Theater, Singen, Feste

Marianne Wiedemann (Hg.): Handbuch Sprachförderung mit allen Sinnen, Weinheim 1997

Zauberspiele, Hör-, Mund- und Fingerspiele, Tast- und Fühlgeschichten, themenbezogene Spiele mit Memory und Bilddomino

Susanne Stöcklin-Meier: Sprechen und Spielen, Ravensburg 2000

Fingerspiele, Klatschlieder, Handspielgeschichten, Rätsel, Reime und Verse.

Simone Neumann: Ganzheitliche Sprachförderung. Ein Praxisbuch für Kindergarten, Schule und Frühförderung, Weinheim 2001

Sprachspiele zur Erweiterung von Wortschatz, Grammatik und Kommunikation, Wahrnehmungs- und Bewegungsspiele (mit kopierbaren Arbeitsblättern).

Maria Monschein: Spiele zur Sprachförderung, Band 1 und 2, München 2003

Spielesammlungen zur Sprachförderung im Kindergarten- und Grundschulalter. Nach Sachthemen geordnet wie Sich-kennenlernen, Ferienerinnerungen, Fasching, Tiere etc.

Die Bedeutung grammatischer Kompetenzen

Ähnlich wie spezielle Förderkurse für sprachauffällige Kinder ermöglichen die in diesen Publikationen vorgeschlagenen Sprachspiele vor allem die Artikulation zu verbessern und den Wortschatz zu erweitern. Sie haben jedoch wenig Erfolg bei der Vermittlung der Regelsysteme, mit denen Wörter zu Sätzen verbunden werden. Das ist deswegen besonders misslich, weil sich das "Entwicklungsfenster" für den spontanen Spracherwerb vor allem andern auf diese grammatischen Kompetenzen bezieht, während Wortbedeutungen lebenslang erweitert und differenziert werden. Korrekturen falscher Satzstellungen oder fehlerhafte Verb- und Pluralbildungen und dergleichen Fehler sind nach dem Kindergartenbesuch nur mühsam zu korrigieren. Sie müssen dann nämlich über die bewusste Anwendung von gelernten Regeln erfolgen, ähnlich wie wir das beim Fremdsprachenunterricht in der Schule gelernt haben.

Die regelgerechte Verwendung der Sprachstrukturen wird im normalen muttersprachlichen Spracherwerb über den Vergleich mit den angebotenen Sprachvorbildern und der Selbstkorrektur durch die Kinder übernommen. Kindern, die damit Schwierigkeiten haben, sind korrekt gebildete Sätze als Vorlagen anzubieten, ohne sie damit bloßzustellen. Ihre unvollständigen oder fehlerhaften Sätze werden von den Fachkräften also bewusst in Form von Nachfragen oder Erweiterungen in korrekter Form wiederholt. Bleiben diese Bemühungen erfolglos, sind unter Umständen spezielle Fördermaßnahmen zu überlegen, damit diese fehlerhaften Verwendungen nicht mit in die Schule geschleppt werden.

Sprechanlässe

Sprechen wird in früher Kindheit über sich wiederholende Rituale gelernt. Auch im Kindergartenalter ergeben den Kindern vertraute Rituale gute Gelegenheiten, um sie zum Sprechen zu veranlassen. Der morgendliche Stuhlkreis etwa bietet Anlass zum Erzählen, Berichten und Besprechen.

Wenn Kinder noch große Schwierigkeiten haben, sich frei zu äußern, können sie an Entscheidungen teilnehmen, indem abwechselnd jeden Tag ein anderes Kind Bildsymbole als Lose zieht. Dieses Kind verkündet dann laut, wer an diesem Tag die zwei Dreiräder benutzen darf oder wer den Tischdienst bestreitet. Auch solche bescheidenen "Auftritte" gewöhnen die Kinder daran, "öffentlich" zu sprechen und führen in der Folge dazu, dass sie sich auch ausführlicher äußern.

Einen wichtigen Anlass zu sprechen bieten die häufigen Konflikte zwischen Kindern, die ja meist in körperlichen Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Konfliktregelungen setzen aber schon eine ausreichende Ausdrucksfähigkeit voraus. Um Konflikte ohne Gewaltanwendung zu schlichten, müssen Kinder lernen, ihre emotionalen Impulse sprachlich auszudrücken und darüber zu einer Einigung zu kommen. Dafür kann ein Ritual eingeführt werden, das nacheinander jedem Beteiligten erlaubt, sich zu äußern. Danach können die unbeteiligten Kinder ihre Meinung dazu sagen, und am Ende fällt entweder die Erzieherin oder die Kinder den Schiedsspruch, der dann auch eingehalten werden muss. Solche Schlichtungen können sowohl in der kleinen Freundesgruppe oder bei größeren Auseinandersetzungen mit allen Kindern in Gang gesetzt werden.

Beratungen und Planungen von gemeinsamen Aktivitäten bieten eine hervorragende Gelegenheit, die Sprach- und Dialogfähigkeit der Kinder zu fördern. Sie werden allerdings schwerer fallen, weil das Sprechen jetzt nicht mehr in eine gemeinsame Tätigkeit eingebunden ist, es vielmehr auf eine zukünftige Tätigkeit bezogen werden muss. Es regt eine "strategische" Sprachverwendung an, indem sich die Sprache nicht mehr ausschließlich auf die vorgefundene Situation bezieht und in ihr Handlungen organisiert, sondern diese Handlungen in eine zukünftige Situation verlegt.

Eine ähnliche Situation ergibt sich beim Erzählen von Erlebnissen in der Gruppe. Sie beziehen sich jetzt auf vergangene oder fiktive Handlungen, die mit Hilfe der Sprache rekonstruiert werden müssen. Die Handlungssituation, auf die sich das das Gesagte bezieht, ist nun weder für den Erzählenden noch die Hörer erfahrbar, vielmehr muss sie der Erzähler mit sprachlichen (und gestischen) Zeichen nachstellen, um sie verständlich zu machen. In beiden Fällen löst sich die Sprache vom gegenwärtigen Handlungskontext.

3.3.3 Ablösung vom Gespräch

Damit ist aber schon der nächste große Schritt in der Sprachentwicklung bezeichnet, den Kinder in dem Alter zu machen haben, in dem sie den Kindergarten besuchen. Die Sprache löst sich aus der engen Verbindung von Handlung und Gespräch, sie wird unabhängig vom Kontext gebraucht. Man spricht deshalb von "Dekontextualisierung".

Im Sprachverhalten zeigt sich die Ablösung der Sprache von der Sprechsituation auch daran, dass Kinder nun entdecken, dass Worte und die Dinge, die sie bezeichnen, nicht identisch sind. Nach dem Spracherwerb identifizieren Kinder die Worte zunächst mit den gemeinten Dingen: Sie behandeln sie als unverwechselbare Namen und wehren sich dagegen, für die gleiche Sache ein anderes Wort zu benutzen. Jetzt entdecken sie, dass es auf der einen Seite sprachliche Konzepte gibt, auf der anderen Seite aber Worte, die sie benennen. Sie beginnen sich mit "Teekesselchen" zu belustigen, das heißt, sie spielen nicht mehr nur mit den Wortklängen, wie das jüngere Kinder lieben, sondern mit den Wortbedeutungen. Das gleiche Interesse führt zum Erfinden von "Geheimsprachen". In ihnen wird dem System der Muttersprache ein selbst ausgedachtes System der Bezeichnung entgegengesetzt.

Die Lösung des Gegenstands von der Bezeichnung

Die Herauslösung der Sprache aus ihrer Verwobenheit mit Dingen und Handlungen ist ein elementarer Vorgang, der insbesondere in der Kindergartenzeit große Fortschritte macht. Wenn wir am Anfangspunkt den Stellenwert von Sprache für das Kind in einer untergeordneten Funktion finden, so haben wir am Endpunkt einen willkürlichen Umgang mit Sprache und Bedeutung (Jampert 2002, S. 31).

Sprache und Rollenspiel

Schon in ihren Rollenspielen, die im Kindergarten unermüdlich in Szene gesetzt werden, haben Kinder begonnen, Sprache unabhängig vom kommunikativen Kontext zu benutzen.

Das kindliche Rollenspiel lässt sich als ein komplexes Sprachspiel beschreiben, und indem Kinder sich im Spiel- wie im Sprachverhalten an den Mitspielenden orientieren, inszenieren sie nicht nur ein befriedigendes Spiel, sondern verbessern auch ständig ihre Sprachbeherrschung.

  • Zum einen wird dabei ganz grundsätzlich das Kommunikationsverhalten geübt, indem im Spiel sich ergänzende Rollen eingenommen werden. Alle Kommunikation ist ja stets mit Rollenverhalten verbunden. Kommuniziert werden kann nur dort, wo einer die Rolle des Sprechenden, der andere die des Zuhörenden einnimmt. Gespräch kann es nur geben, wenn dieses Rollensystem umkehrbar ist, der Sprecher zum Zuhörer wird. Darüber hinaus geben Gesprächssituationen soziale Rollenmuster vor, sind unauflösbar mit ihnen verbunden. Wir begegnen uns in den Rollen des Erziehenden und des Kindes, der Freundin und des Freundes, des Chefs und des Untergebenen etc.
  • Im Spiel bewegen sich Kinder jedoch nicht wie Schauspieler stets in der gleichen, sondern in ständig wechselnden Rollen und müssen dafür auch die Sprechweisen wechseln. Mit jeder Rolle ist ein typisches Sprachverhalten verbunden. Im Spiel eignen sich Kinder die für die Spielrollen bezeichnenden oder auch nur vermuteten Redeweisen an. Insofern befördern diese Spiele die Befähigung in sozialen Situationen die angemessene sprachliche Ausdrucksweise zu treffen. Beide Elemente befördern also die kommunikativen Fähigkeiten der Spielenden.
  • Im kindlichen Rollenspiel sind die eingenommenen Rollen und Handlungen der Spielfiguren jedoch (anders als im Theaterspiel) nicht vorgegeben, sondern müssen zwischen den Spielenden jeweils abgesprochen werden. Da das Spiel spontan von allen Spielern vorangetrieben werden muss, haben die Spielenden von Fall zu Fall immer wieder aus dem Spiel herauszutreten und sich über ihr Spielverhalten und den Fortgang des Spiels zu verständigen. Sie können das "explizit" tun, indem sie über das Spiel sprechen oder auch Vorschläge implizit einbringen, indem einer der Spielenden eine neue Figur oder Handlung anspielt und die Mitspieler darauf reagieren müssen. In beiden Fällen wird ein Standpunkt außerhalb der Spielfiktion eingenommen oder eine "Metaebene" etabliert, von der aus das eigene Spiel betrachtet und gesteuert werden kann.
Dekontextualisierung im Rollenspiel

Wenn Sprache dazu dient, Personen, Gegenstände, die gesamte Handlungssituation umzudeuten, ist das verbunden mit einer Lösung des Wortes vom Gegenstand. Wenn durch die entsprechende sprachliche Formel ein Bügeleisen in ein Telefon "verwandelt" wird, so setzt dieses voraus, dass Gegenstand und Wort "Bügeleisen" bzw "Telefon" voneinander getrennt und neu, nach Maßgabe der Erfordernisse des Spiels einander zugeordnet werden können. Indem die Kinder sprachlich den fiktiven Charakter der Spielbedeutungen markieren, geben sie den Kontext für ihr Handeln an und legen damit fest, wie ihr Verhalten innerhalb des Spielrahmens zu interpretieren ist. (...)

In diesem Sinn ist Rollenspiel mit Dekontextualisierung verbunden; Dekontextualisierung bedeutet dabei nicht die Befreiung der Handlungen von jeglichem Kontext, sondern die Versetzung in einen anderen Kontext, eben den Kontext "Spiel". Da Sprache das zentrale Mittel dieser Umdeutungen ist, wird auch Sprache dekontextualisiert, weil die sprachlichen Zeichen nicht nur vom nichtsprachlichen Kontext determiniert werden, sondern umgekehrt, Sprache die Macht hat, neue Kontexte zu schaffen (Andresen 2002, S. 43/44).

Begriffsbildung

Die Ablösung des Wortes von den konkreten Dingen und Handlungen, die sie bezeichnen, ermöglicht, sprachliche Bezeichnungen zu benutzen, die viele ähnliche Dinge oder Handlungen zusammenfassen. Es wird also möglich, Kategorien zu bilden, denen in der gegenständlichen und sinnlich erfahrbaren Welt nichts mehr entspricht. Die Wörter, die Kategorien benennen, werden als "Begriffe" bezeichnet.

Die dingliche und sinnliche Welt nach Kategorien zu ordnen, sie mit sprachlichen Konstruktionen zu strukturieren, ermöglicht, sie einem Denken zugänglich zu machen, das sich vom handelnden wie vom vorstellenden Denken zu lösen imstande ist. Begriffe zu benutzen und mit Begriffen die Welt zu strukturieren, eröffnet die Möglichkeit, über ein Hantieren mit sprachlichen Konzepten zu Problemlösungen zu gelangen. Es ist das Denken, das wir als abstrakt charakterisieren.

Grundlagen sprachlich gesteuerten Denkens können im Kindergarten gelegt werden, indem immer wieder auf die übergeordneten Kategorien hingewiesen wird, die die Erscheinungen der sozialen und der gegenständlichen Welt miteinander verbinden. Beispielswiese können beim Sammeln und Sortieren Kategorien anschaulich erfahren und verstanden werden. Tätigkeiten wie Erläuterungen, die die Begriffsbildung unterstützen, sollten aber immer in eine einsehbare und die Kinder interessierende Tätigkeit eingebunden, und nicht als davon abgelöste Übungen angesetzt werden.

Hilfen zur Begriffsbildung

Wir können Kindern helfen, zu "klareren" Begriffen zu kommen, wenn wir sie mit unterschiedlichen Gegenständen (z.B. Tierbildern) konfrontieren und diese dann nach gemeinsamen Eigenschaften (groß – klein, wild – zahm) ordnen lassen. Anschließend können wir mit ihnen nach einem Begriff für die gefundenen Kategorien von Objekten suchen (z.B. Großwild, Haustiere, Nutztiere). Auch mit den Kindern angelegte Sammlungen (Steine, Blätter, Metallteile...) eignen sich gut, um Begriffe und Eigenschaften bzw. das Kategorisieren und Klassifizieren zu lernen.

Der Erwerb von Begriffen ist natürlich auch in der Erzieherin-Kind-Interaktion möglich. Wichtig ist beispielsweise, dass die Erzieherin genau hinhört, wenn ein Kind Begriffe – insbesondere abstrakte Konzepte – gebraucht, und dann zu erfassen versucht, ob das Kind den verwendeten Begriff wirklich versteht. Eventuell muss sie nachfragen (Textor 2004, S. 2/3).

Denken und Sprechen

Unser Denken und damit unsere "kognitiven Operationen" sind zum größten Teil sprachlich gesteuert. Denkvorgänge lassen sich verstehen als ein Verbinden und Vergleichen von sprachlichen Konzepten im Gehirn. Man kann es sich vorstellen wie ein Nebeneinandersetzen einzelner Wörter, ohne ihre korrekte grammatische Verknüpfung zu beachten. Gedanken werden deshalb rascher gefasst, als sie in korrekten Sätzen ausführt werden können.

Kinder haben ihre Umwelt zunächst handelnd erkundet, dann mit dem Spiel auch die Fähigkeit ausgebildet, Handlungen in der Vorstellung miteinander zu vergleichen und zu kombinieren, um eine angemessene Lösung zu finden. Zwar wird die Sprache benutzt, um im Austausch mit anderen ein Problem im jeweiligen Handlungskontext zu lösen, jedoch kann noch kaum mit sprachlichen Konzepten umgegangen werden, ohne sie zu äußern.

Der Beginn des sprachlich gelenkten Denkens zeigt sich bei Kindern daran, dass sie beginnen, einsam vor sich hin zu reden, sobald sie auf ein Problem stoßen. Dieses "egozentrische Sprechen" beschreibt die Lösung des Problems, die anschließend ausgeführt wird. ("Der Baustein ist viel zu kurz. Dann such ich eben einen längeren"). Bald verstummt dieses monologische Reden und macht dem stillen Nachdenken Platz, das nun ein sprachlich strukturiertes Denken geworden ist. Erst die Ablösung der Sprache vom zwischenmenschlichen Gespräch bricht dem sprachlichen Denken Bahn. Das sprachlich geleitete Denken wird befördert, wenn bei auftauchenden Problemen die möglichen Lösungen durchgesprochen und dann auf ihre Brauchbarkeit überprüft werden.

Die Verinnerlichung des Sprechens zum Denken

Das Kind löst die sprachliche Tätigkeit aus dem interaktiven Zusammenhang mit Kommunikationspartnern und verwendet sie zur Steuerung eigener psychischer Prozesse. Anfangs muss es sich dabei noch der Lautsprache bedienen; erst gegen Ende des Vorschulalters kann es die sprachliche Aktivität als innere Sprache intrapsychisch ausführen (Andresen 2002, S. 44).

Wygotskys Beobachtungen zum "inneren Sprechen"

... der Anteil der egozentrischen Sprache (wurde) immer dann größer, wenn die Kinder auf Schwierigkeiten stießen. Ein solches Kind versucht sich den Satz bewusst zu machen: 'Wo ist der Bleistift, ich brauche jetzt einen blauen Bleistift; macht nichts, ich male statt dessen mit einem roten und mache ihn naß, das wird dunkler und wird dann wie blau.' Bei den Kindern entstand das egozentrische Sprechen, d.h. der Versuch, eine Situation in Worten zu erfassen, einen Ausweg zu suchen und die nächste Handlung zu planen, als Antwort auf die Schwierigkeiten in der gleichen, nur etwas schwierigeren Situation.

Das ältere Kind verhielt sich etwas anders: es blickte genau hin, überlegte (wie aus den längeren Pausen zu schließen war) und fand dann einen Ausweg. Auf die Frage, worüber es nachgedacht habe, gab es immer Antworten, die dem lauten Denken des Vorschulkindes sehr nahe kamen. Wir nahmen daher an, dass die gleiche Operation, die beim Vorschulkind sprachlich geäußert wird, beim Schulkind in innerer lautloser Rede erfolgt (Wygotski 1971, S. 37 und 38).

Das uns geläufige Denken kann also in weiten Bereichen als eine Weise stummen inneren Sprechens mit sich selbst begriffen werden. Dieses sprachlich gesteuerte Denken ermöglicht effektivere und komplexere Formen der Problemlösung, da es Handlungen und Bilder rascher rekonstruieren und in Bezug setzen kann. Es kann darüber hinaus Ursachen und Zusammenhänge ohne Rückgriff auf Handlungen und Vorstellungen konstruieren und legt damit die Grundlage für ein abstrahierendes Denken, das über den Schulunterricht ausgebildet werden muss.

Stilisierte Sprache

Auch beim lauten Sprechen beginnen sich Kinder in diesem Alter von der gesprochenen Umgangssprache zu lösen.

Das zeigt sich etwa daran, dass sie Äußerungen immer besser verstehen, die in einer stilisierten und vom mündlichen Sprechen abweichenden Diktion gehalten sind. Wie weit sie aber diesen öffentlichen Sprachgebrauch kennen, verstehen und beherrschen lernen, hängt davon ab, ob er ihnen nahe gebracht wird. Er wird beispielsweise in der literarischen Diktion von geschriebenen Erzählungen benutzt. Je mehr ihnen vorgelesen und dabei die Gelegenheit geboten wird, auch darüber zu reden, diese "fremde" Sprache sich über das Gespräch vertraut zu machen, desto genauer werden sie diese Sprachform verstehen und handhaben können.

Das mündliche Erzählen stellt eine Zwischenform zwischen der stilisierten literarischen Sprache und der Alltagssprache dar. Auch hier löst sich die Sprache vom Gegenwartsbezug, rekonstruiert Ereignisse und Handlungen, die nicht hier und jetzt, sondern dort und damals spielen. Da der Erzähler seinen Text mit eigenen Worten improvisiert und sich an das Verständnis der Hörer anpasst, zugleich aber immer wieder stilisierte "Formeln" benutzt, entsteht eine Brücke zwischen alltäglicher Rede und literarischer Diktion.

Umgang mit Zeichen

Die Umwelt der Kinder ist voller Zeichen, die Botschaften als stilisierte graphische Bilder enthalten: Verkehrsschilder, Markenzeichen, Hinweise auf Geschäfte wie die Schilder an Apotheken usw. Alle diese Zeichen komprimieren einen sprachlichen Satz: "Hier kannst du Eis kaufen" oder "Vorsicht! Kurvenreiche Strecke!" Sie stellen eine Vorform der Schrift dar, die erlaubt, sprachliche Aussagen unabhängig von einem Sprecher zu übermitteln. Indem Kinder diese Zeichen entschlüsseln und sich nach den damit bezeichneten Botschaften richten lernen, machen sie einen ersten Schritt hin zur Fähigkeit, geschriebene Sprache zu entziffern und Aussagen in schriftlichen Zeichen festzuhalten. Sie erwerben damit eine "Vorläuferkompetenz" für das Lesen und Schreiben.

Die Möglichkeiten, sich im Alltag der Einrichtung mit Zeichen zu beschäftigen, sind vielfältig. Es ist für Kinder wichtig, sich angemessen im Straßenverkehr bewegen zu können, und dafür müssen sie neben den wesentlichen Verkehrregelungen auch die Verkehrsschilder lesen können. Im Anschluss an die Verkehrsschulung lassen sich eigene Hinweis- und Verbotsschilder entwerfen und in eine Spiellandschaft integrieren.

Es ist üblich, für jedes einzelne Kind und die ganze Gruppe Bildzeichen zu verwenden, an denen der Haken an der Gardarobe, der Sitzplatz im Stuhlkreis oder persönliche Gegenstände erkannt werden können. Aber auch die im Kindergarten geltenden Verhaltensregeln können als visuelle Merkzeichen aufgehängt werden. Bestimmte regelmäßige Tätigkeiten im Tageslauf können durch zeichenhafte Symbole rechtzeitig angezeigt werden. Beides empfiehlt sich besonders auch zur Orientierung zweisprachiger Kinder.

Umgang mit der Schrift

Frühunterricht in Lesen und Schreiben ist nicht Aufgabe des Kindergartens, er kann auch als obligatorische Förderung kaum empfohlen werden. Wo aber Kinder Interesse an Schriftzeichen zeigen, sollten die Fachkräfte darauf eingehen und deren Bedeutung vermitteln. Auch hier bieten sich zahlreiche Aktivitäten an.

Kinder verfertigen in Nachahmung schreibender Erwachsener "Kritzelbriefe". Sie können dann aufgefordert werden, sie vorzulesen. Darüber wird der Zusammenhang zwischen Sprache und Schrift deutlich und die Kinder haben die Genugtuung, dass auch sie schon schreiben können.

Wenn es darum geht, Material für eine geplante Aktivität zu besorgen, lassen sich mit den Kindern Einkaufszettel herstellen: Die gebrauchten Gegenstände werden auf die eine Seite gemalt, auf die andere schreibt die Erzieherin die entsprechenden Worte. Kinder können dann zusammen mit der Fachkraft anhand dieser Notizen Besorgungen erledigen.

Im Allgemeinen wollen Kinder, sobald das Interesse an Schrift erwacht ist, sehen, wie ihr Name geschrieben wird, und suchen ihn nachzumalen. Es ist nicht nötig, und kann sie auch entmutigen, dabei Buchstabenbilder zu korrigieren, es sei denn, es wird vom Kind gewünscht. Zunächst geht es nur darum, dass es zu schreiben versucht und damit das Prinzip schriftlicher Aufzeichnung verstanden hat.

Interesse an geschriebener Sprache kann außerdem durch Korrespondenzen geweckt werden, die man mit einer "Patengruppe" austauscht. Die Erzieherin dient den Kindern dann als Schreibkraft. Das kann über Briefe oder E-Mail geschehen, noch geeigneter aber ist das Chatten, weil es wegen der Unmittelbarkeit des Austausches der den Kindern vertrauten Gesprächsform näher steht.

Interesse an geschriebener Sprache kann auch über einfache Medienprojekte geweckt werden, wenn die Erzieherin sich Geschichten der Kinder diktieren lässt oder gemeinsam eine Geschichte ausgedacht und festgehalten wird.

Durch diesen Umgang mit öffentlichen Zeichen und Schrift wird ein Bewusstsein erzeugt, dass sprachliche Botschaften in graphischer Form festgehalten und mitgeteilt werden können. Die Wahrnehmung von Sprache als eigenständiges System, das Verständnis strukturierter Erzählungen, das Umgehen mit Zeichen, das spielerische Kritzeln des Namens oder von "Briefen", all das liefert Bausteine für die Entwicklung von "Literalität".

Was ist "Literalität"?

Der Begriff Literalität war vor wenigen Jahren in der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt. Über das englische "literacy", als dessen deutsche Entsprechung, beginnt er sich langsam zu verbreiten. "Literacy" bezeichnet im engeren Sinn die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können. Im weiteren Sinn fällt darunter alles, was Menschen zur verständigen Teilhabe an der Schriftkultur befähigt. "Literalität" meint in diesem Sinn die Fähigkeit, Tabellen und Fahrpläne zu lesen, ein Lexikon zu benutzen, einen Brief zu schreiben, Gedichte zu lesen – allgemein jegliche schriftsprachliche Kompetenz (Groeben 2001, S. 6).

Heike Tenta: Schrift- und Zeichenforscher. Was Kinder wissen wollen, München 2002

Zahlreiche Vorschläge, wie im Kindergarten mit Zeichen und Schrift gearbeitet werden kann.

3.3.4 Deutsch als Zweitsprache

Für Kinder, die zu Hause eine andere Muttersprache sprechen, stellt sich die Frage der Sprachförderung etwas anders. In den meisten Fällen kommen sie ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen in den Kindergarten, weil sie im Kleinkindalter meist nur in der Familie lebten und wenig Kontakt zu deutschen Kindern hatten.

Zum kindlichen Lernen einer Zweitsprache

Frühe Zweisprachigkeit ist für Kinder prinzipiell ein Gewinn und unterstützt bei guten Voraussetzungen die Ausbildung von Sprachbewusstsein und Literalität. Zweisprachige Kinder begreifen früher, dass Wörter konventionelle Bezeichnungen darstellen und Sprache auf Handlungen und Dinge verweist.

Unterschieden wird im allgemeinen zwischen dem Doppelspracherwerb, bei dem ein Kind von Anfang an mit verschiedenen Bezugspersonen unterschiedliche Sprachen spricht, und dem Zweitspracherwerb, der erst nach dem Erlernen der Muttersprache einsetzt. Wenn die Zweitsprache im Vorschulalter übernommen wird, ist die Erstsprache allerdings noch nicht vollständig ausgebildet, und das scheint, entgegen früheren Annahmen, von Vorteil zu sein. Der geringere Abstand zur Erstsprache erleichtert den Gebrauch der Zweitsprache, denn die Kinder befinden sich noch in einer Phase des natürlichen Spracherwerbs. "Je jünger die Kinder sind, und je weniger sie von ihrer Erstsprache bereits erworben haben, desto eher wird die Lernsituation der Ausgangssituation beim gleichzeitigen Erwerb zweier Sprachen gleichen" (Appeltauer 1997, S. 11).

Auch die Sprachmischungen, wie sie bei diesen Kindern häufig auftreten, verschwinden mit der Zeit von selbst, wenn ihnen anregende Sprachvorbilder geboten werden. Sie haben einen ähnlichen Stellenwert wie die "falschen" Ableitungen, die Kinder beim Erstspracherwerb konstruieren.

Die Zweitsprache wird wie die Erstsprache erworben

Kinder lernen sprechen in Gesprächen, die von den Bezugspersonen vom ersten Lebenstag an systematisch mit ihnen geführt werden.

Eine in ihrer Umgebung gesprochene Zweitsprache eignen sich Kinder im Prinzip nach dem gleichen Verfahren an, mit dem sie ihre Muttersprache erworben haben. Mit einem wichtigen Unterschied: Sie beherrschen bereits das für die sprachliche Verständigung wesentliche Kommunikationsverhalten sowie die Ausdrucksweisen der nonverbalen Mitteilung. Die Übernahme der Zweitsprache wird entscheidend davon abhängen, wie intensiv sie angeregt werden, die Zweitsprache zu gebrauchen und wie weit sie sich auch im Milieu der Zweitsprache an Gesprächen und Kommunikation beteiligen können und sich mitteilen wollen.

Der herkömmliche schulische Sprachunterricht geht gerade anders herum vor: Zuerst werden einzelne Wortbedeutungen, dazu die Aussprache dieser Wörter gelernt, dann die grammatikalischen Verknüpfungsregeln und erst dann wird versucht, damit Sätze zu bilden, die eine Unterhaltung ermöglichen. Für Kinder im Vorschulalter und noch weit ins Grundschulalter hinein sind die Methoden des Fremdsprachenunterrichts kaum anwendbar.

Eine zentrale Rolle spielt wie schon beim Erstspracherwerb die Beziehung, in der das Kind zum Gesprächspartner steht und die es über das Sprechen zu etablieren und zu festigen sucht. Darin liegt auch eine ständig unterschätzte Fehlerquelle von Sprachtests, deren Resultate eben immer auch davon beeinflusst werden, wie der Tester auf das Kind wirkt, ob es sich öffnet und seine Fähigkeiten aktiviert oder sich verschließt.

Kinder lernen eine Zweitsprache zunächst einmal vor allem andern im täglichen Umgang mit Gleichaltrigen und Erwachsenen, mit denen sie sich verständigen und mit denen sie in Beziehung treten wollen. Allerdings reicht der bloße Umgang mit Deutsch sprechenden Kindern und Fachkräften meist nicht aus, um sich die fremde Sprache vollständig anzueignen. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder für diese “natürliche” Aneignung mindestens ein Drittel des Tages der Zweitsprache ausgesetzt sein müssen: „Neueren Untersuchungen zufolge muss das Angebot in der Zweitsprache mindestens 30 Prozent der Gesamtkommunikation ausmachen, damit ein „Ergebnis“ sichtbar wird“ (Nauwerck 2003, s.37). Unter günstigen Bedingungen wird davon ausgegangen, dass Kinder dann innerhalb eines Jahres die Zweitsprache sprechen. Das normale “Sprachbad” eines Kindes im Alltag der Einrichtung fällt wesentlich geringer aus, zumal sich häufig auch noch Kinder in der Gruppe aufhalten, die die gleiche Muttersprache sprechen. Der Zweitspracherwerb muß deshalb über gezielte Förderung der Fachkräfte gesichert werden.

Die bislang ausgearbeiteten und praktizierten Programme, die Methoden und das dafür verwendete Material zur "Sprachanbahnung“ und Sprachförderung von Kindern, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, setzen in Anlehnung an sprachtherapeutische Verfahren vor allem auf die spielerische Kombination von Sprach- und Bildmaterial bzw kombinieren Sprachmaterial mit gegenständlichen Handlungen. Damit kann einmal über die Interaktion mit dem Lehrpersonal die Fähigkeit gefördert werden, Gespräche in der Zweitsprache zu führen, und zweitens der Wortschatz erfolgreich erweitert werden. Wenig erfolgreich sind diese Verfahren jedoch bei der Vermittlung morphologisch-syntaktischer Kompetenzen (Satzbildungsregeln, Pluralbildung, Zeitformen etc.). Diese Feststellung ist deshalb misslich, weil sich das Zeitfenster, das für den natürlichen Spracherwerb angenommen wird, vor allem auf die intuitive Regelableitung aus dem den Sprachlernern gebotenen Sprachmaterial bezieht, während Wortschatzerweiterung bei ausreichender Beherrschung des Sprachsystems im Prinzip auch später jederzeit möglich ist und lebenslang erfolgen kann.

Die Frage, wann sich das angenommene Zeitfenster zu schließen beginnt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die Befähigung über intuitives und unbewusstes Lernen Sprache zu erwerben, scheint mit dem 6./7. Lebensjahr zurückzugehen, aber noch etwa bis zum 11./12.Lebensjahr nachzuwirken. Nach diesem Zeitpunkt muss das Sprachsystem über bewusstes Regellernen und die überlegte Anwendung der Regeln erfasst werden. Wie weit die Zweitsprache erworben werden kann, entscheidet sich im Elementarbereich und wohl auch noch in den ersten Jahren der Grundschule daran, ob das syntaktisch-morphologische System der Zweitsprache mit den Strategien des intuitiven Spracherwerbs übernommen werden konnten.

Die Strategien des Erstspracherwerbs sind deshalb erfolgreich, weil

  • die Kinder Handlungssituationen mit den von den Betreuern gehörten Sprachäußerungen identifizieren,
  • die Sprache der Betreuer durch Vereinfachung und stereotype Wiederholung (intuitiv) auf das kindliche Verständnis abgestellt ist und in seiner ungefähren Bedeutung entschlüsselt werden kann,
  • die Kinder daraus eine eigenständige (im Sinne der Erwachsenensprache „falsche“) Regel konstruieren,
  • diese Konstruktionen aber im Umgang mit Sprechern und Sprechsituationen selbständig korrigieren und sich damit Stufe für Stufe an das Regelsystem der Muttersprache anpassen.

Voraussetzung für den spontanen Zweitspracherwerb sind demnach:

  • ein Sprachverhalten der Betreuer, das auf die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder zugeschnitten ist ,
  • die Motivation des Kindes, sich sprachlich in Handlungssituationen auszudrücken und
  • die Erfahrung, dass es mit seinen (begrenzten) sprachlichen Fähigkeiten sprachlich zu handeln in der Lage ist und darüber in seiner Sprechtätigkeit bestärkt wird.

Solche Situationen ergeben sich im ständigen gemeinsamen Handeln. Dabei werden Sprachvorlagen von den Kindern übernommen und versuchsweise angewendet. Über die positive Rückmeldung der mithandelnden Kinder und Fachkräfte prägen sich Wortbezeichnungen, Sprachstrukturen und Bildungsregeln der Zweitsprache ein.

Mehrsprachigkeit und Gehirnorganisation

Neuere Forschungen haben ergeben, dass sich beim späteren Lernen einer zweiten Sprache in Teilen ein neues neuronales Netzwerk in den Sprachzentren des Gehirns entwickelt. Das trifft etwa beim Fremdsprachenunterricht in der Schule zu oder wenn ein Mensch als älteres Schulkind oder später in ein anderes Land mit einer anderen Sprache umsiedelt. Interessanter Weise sieht das anders aus, wenn ein Kind im frühen Alter zwei Sprachen lernt, also zweisprachig aufwächst. In diesem Fall entsteht ein einziges neuronales Netz für beide Sprachen. In der Computertomografie (CT) werden bei der Nutzung beider Sprachen die gleichen Areale und Bereiche als aktiv angezeigt. Das Kind, das sehr früh mehrere Sprachen erwirbt, lernt dabei jede der Sprachen mühelos und nahezu automatisch.

Wenn ein Mensch hingegen später lernt, dann entwickelt sich für diese zweite Sprache teilweise ein neues Netzwerk. Und das führt dazu, dass das Erlernen dieser zweiten Sprache sehr viel mehr Anstrengung, Mühe und Üben bedeutet und nicht wie bei der ersten Sprache nahezu automatisch und intuitiv durch Nachahmung und fast spielerischen Versuch und Irrtum läuft. Zudem wird auch niemals die Vollkommenheit der ersten Sprache erreicht. (....).

Die Altersgrenze zwischen Frühlernen und Spätlernen (verschiedene Netzwerke für verschiedene Sprachen) liegt etwa bei drei Jahren, wobei das allerdings auf Vermutungen beruht. Es gibt Hinweise, dass es auch sechs Jahre sein können.

Übrigens, wer in früher Kindheit zweisprachig aufgewachsen ist, also nur ein neuronales Netz aufgebaut hat für zwei Sprachen, nutzt dieses Netz auch für den Erwerb einer dritten oder vierten Sprache – d.h. er erlernt weitere Sprachen ähnlich einfach und intuitiv wie seine beiden Erstsprachen (Küls 2003).

Das mehrsprachige Kind als Mangelwesen

Die Konzepte, wie die Sprachförderung fremdsprachiger Kinder anzulegen ist, gehen recht weit auseinander. Klar ist nur, dass diese Kinder eine gezielte Sprachförderung brauchen, die ihre besonderen Bedingungen berücksichtigt, und dass der spätere Schulerfolg in erster Linie von den Deutschkenntnissen abhängt.

Auf der einen Seite stehen kursartige Förderstunden, die diesen Kindern Grundkenntnisse des Deutschen zu vermitteln suchen und darauf bauen, dass sich die Beherrschung der Umgebungssprache durch den Umgang weiter verbessert. In dieser Sichtweise werden die mangelhaften Deutschkenntnisse dieser Kinder betont, sie ist "defizitorientiert". Sie übersieht die Tatsache, dass Kinder mit einer anderen Muttersprache Kenntnisse besitzen, die die der deutschen Kinder übertreffen. Diese Sicht beherrscht auch weitgehend die Schul- und Bildungspolitik.

Sie impliziert eine unausgesprochene Bewertung der Muttersprache dieser Kinder. Wenn Kinder zweisprachig mit einer "Weltsprache" wie englisch oder französisch aufwachsen, löst das allgemein Bewunderung aus. Sprechen sie zu Hause "nur" persisch oder kurdisch, wird das eher als Mangel gesehen. Diese geringe Wertschätzung erfahren Migrantenkinder immer wieder. "Neben dem 'neutralen' Aspekt, dass sie mit ihrer Erstsprache nicht verstanden werden, erleben Migrantenkinder auch, dass 'ihre' Sprache in vielen Situationen in der deutschen Öffentlichkeit nicht geschätzt wird" (Jampert 2002, S. 74).

Die geringe Wertschätzung wirkt häufig auf die Elternhäuser der Kinder zurück und veranlasst manche Eltern sogar, im Interesse des Schulerfolgs mit den Kindern Deutsch zu sprechen. Da sie aber meist keine korrekten Vorbilder liefern können, übernehmen die Kinder fehlerhafte Formen, die sich durch die Bestätigung im Umgang mit den Eltern zu verfestigen drohen. Man spricht dann von "Fossilierung", eine Erscheinung, die bei erwachsenen Migranten häufig anzutreffen ist und durch das kindische "Gastarbeiterdeutsch" gefördert wird, das die deutschen mit ausländischen Kollegen verwenden. Die Folge für die Kinder ist, dass sie auch die eigene Muttersprache nicht mehr ausreichend beherrschen. Man spricht, wieder etwas abschätzig, von einer "doppelten Halbsprachigkeit", die den korrekten Erwerb des Deutschen stark behindert.

Förderung in Erst- und Zweitsprache

Da Erfahrungen und Emotionen des Kindes eng mit der Muttersprache verbunden sind, wird das Kind, das sich in der Einrichtung nun mit einer fremden Sprache konfrontiert sieht, einen wesentlichen Teil seines bisherigen Lebens ausklammern müssen. Das hat Auswirkungen auf seine Selbstwahrnehmung. "Mit dem Verlust seiner Sprache wird das Kind in seiner Selbständigkeit und in seinen Kompetenzen einen großen Entwicklungsschritt zurückgeworfen" (Jampert 2002, S. 87).

Um diese missliche Situation zu beheben versucht ein alternativer Ansatz, die Muttersprache dieser Kinder in die Förderung miteinzubeziehen. Diese Sicht kann sich mit Recht darauf berufen, dass der Zweitspracherwerb wesentlich von dem gelungenen Erwerb der Muttersprache abhängt und auf ihm aufbauen kann. Muttersprachliche Förderung stößt jedoch, abgesehen von dem fehlenden politischen Willen, auf große Schwierigkeiten. Sie setzt voraus, dass neben den deutschen auch muttersprachliche Fachkräfte in der Einrichtung angestellt werden, was wiederum nur Sinn macht, wenn eine größere Gruppe Kinder die gleiche Herkunftssprache spricht. Meist sind die Gruppen jedoch aus Kindern sehr unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Herkunft zusammengesetzt. Die deutsche Sprache bildet dann die einzige Verständigungsmöglichkeit zwischen ihnen. Das heißt aber die Entfremdung von ihrer Muttersprache ist kaum zu umgehen.

Es ist allerdings kaum einzusehen, weshalb inzwischen zweisprachige Kindergärten eingerichtet werden, um deutschen Kindern eine Frühförderung in den westlichen Weltsprachen zu ermöglichen, während es gleichzeitig kaum deutsch-türkische oder deutsch-russische Kindergärten gibt. Sie wären angesichts des Anteils an Kindern mit anderer Muttersprache sehr viel sinnvoller und notwendiger.

Sprachanbahnung

Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Kindern, die fast ohne Deutschkenntnisse in die Einrichtung kommen, und solchen, die sich im Alltag schon einigermaßen ausdrücken können.

Für die erste Gruppe dürfte es in den meisten Fällen sinnvoll sein, eigene Förderkurse anzubieten, sogenannte "Sprachanbahnungen", die, sofern sie gut gemacht werden, Grundkenntnisse beibringen können. Sie werden aber im wesentlichen nur Bezeichnungen von einzelnen Gegenständen vermitteln, nicht aber das lebendige Sprechen der Zweitsprache lehren können.

Diese Kurse müssen jedoch, wollen sie ihren Zweck erfüllen, erstens erlauben, dass die Kinder eine gewisse Beziehung zur Lehrperson entwickeln können (zeitlicher Umfang der Förderstunden) und nach offenen spielerischen Verfahren arbeiten. Im allgemeinen wird dabei so viel Wortschatz gelernt, dass die Kinder erst einmal die wichtigsten Dinge in der neuen Sprachen benennen können oder der vorhandene Wortschatz erweitert wird. Das Erlernen von Wörtern allein führt aber nicht zum lebendigen Sprechen. "Damit kann man – so einige Untersuchungsergebnisse – nur kurzfristig den Wortschatz erweitern und die Ebene des Satzes und der übergreifenden sprachlichen Zusammenhänge kommt zu kurz" (Ulich 2000, S. 36).

Wortbedeutungen werden aber auch rasch wieder verloren, wenn sie nicht in eine elementare Grammatik eingefügt werden. Die Grundregeln, nach denen Wörter zu Äußerungen verbunden werden, sind Vorschulkindern nicht als abstrakte grammatische Regeln beizubringen. Sie müssen, ähnlich wie das Kinder beim Erstspracherwerb tun, im Umgang mit den Personen erkannt und abgeleitet werden, die diese Sprache sprechen. Sprachanbahnung darf also keineswegs die einzige Sprachförderung darstellen, die Migrantenkinder erhalten.

Nonverbale und gestische Kommunikation

Wichtiger als Förderstunden, die ja immer nur wenige Stunden in der Woche umfassen werden, ist es, diese Kinder in die Kindergruppe zu integrieren und ihnen den alltäglichen Umgang in der fremden Sprachumgebung zu ermöglichen.

Dafür sind im Umgang mit fremdsprachigen Kindern die kommunikativen Fähigkeiten anzusprechen und zu fördern, über die diese Kinder außerhalb der Sprache verfügen, also die breite Palette nonverbaler und gestischer Verständigung. Das stellt vor allem an die Fachkräfte einige Anforderungen, da diese Ausdrucksweisen aufgrund kultureller Prägung hierzulande sehr zurückgedrängt sind.

Die gestische und spielerische Darstellung, die den Sinn des Gesagten so weit wie möglich ”redundant” vermittelt, d.h. gleichzeitig auf der verbalen wie auf der nonverbalen Schiene mitteilt, stellt in Verbindung mit der sprachlichen Äußerung eine wirksame Lernsituation dar. Über die aussagekräftige Gestik wird die Bedeutung des Gehörten andeutungsweise verstanden und allmählich auch ohne die spielerische Geste verständlich sein. Dass man sich dabei einer einfachen und wiederholenden Wortwahl bedient, bedarf wohl keiner Erwähnung.

Besondere Bedeutung hat die gestische Darstellung beim Erzählen von Geschichten, das auch die Sprachkenntnisse von Kindern fördern kann, die Deutsch als Zweitsprache sprechen.

Brücken des Verstehens bauen

Über Mimik, Gestik und Verhalten lässt sich eine nonverbale Kommunikation mit den Kindern aufbauen, auch sie ist ein Bestandteil der Sprachförderung. Die jeweilige Beschreibung der Tätigkeiten und Inhalte baut den Kindern große Brücken zum Verstehen von Handlungen und Situationen, und sie können in Gruppenprozesse einsteigen, was ihnen ein Stück ‚Außenseiterdasein‘ nimmt (Aktas 2002, S. 5).

In Handlungssituationen sprechen

Wirksame Anregungen, sich die fremde Sprache anzueignen, ergeben sich beim gemeinsamen Handeln mit den anderen Kindern und den Fachkräften. Dabei haben die Fachkräfte darauf zu achten, ihre Sprache auf den Kenntnisstand der Kinder einzustellen und möglichst alle Aktivitäten sprachlich zu begleiten. Zur Förderung der passiven Sprachbeherrschung kommt es darauf an, dass den Kindern sprachliche Vorlagen geboten werden, die sie zu entschlüsseln in der Lage sind, und Handlungen vorgeführt werden, die sie interessieren und die sie nachvollziehen können. Für die aktive Sprachbeherrschung sind Sprechsituationen zu schaffen, in denen kommunikatives Handeln notwendig und die Kinder motiviert sind, sich sprachlich zu äußern.

Wertschätzung der Muttersprache

Auch in Einrichtungen mit einer stark gemischten Zusammensetzung von Migrantenkindern können die Muttersprache und der kulturelle Hintergrund dieser Kinder in den Alltag der Einrichtung einbezogen werden. Die Wertschätzung, die die Herkunftssprachen der Kinder erfährt, kann deren Selbstwertgefühl stärken und ihnen vermitteln, dass sie etwas können, was weder die übrigen Kinder noch die Fachkräfte beherrschen. Das wird sich auch auf ihre Verwendung der Zweitsprache positiv auswirken.

Ihre Herkunftssprache sollte als eine Fähigkeit gewürdigt werden, die andere Kinder nicht haben. Das kann schon dadurch geschehen, dass Elemente ihrer Muttersprache in der Alltagsarbeit berücksichtigt werden. Sie können der Erzieherin und den Kindern zum Beispiel einige Wörter oder einfache Sätze ihrer Muttersprache beibringen, die dann auch wieder im Umgang mit ihnen benutzt werden. Man kann mit ihnen Wörter tauschen, die dann später wiederholt werden, um in einen Wettbewerb zu treten, wer von den deutschen Kindern sich die fremden Wörter am besten gemerkt hat und wer von den fremdsprachigen sich der deutschen Wörter erinnert. Noch einprägsamer fallen Lieder und Verse aus, die gemeinsam gelernt und immer wieder benutzt werden.

Man kann Migrantenkinder auch auffordern, in ihrer Muttersprache zu erzählen, und die deutschen Kinder raten lassen, wovon die Rede sein könnte. Abgesehen von dem Rätseleffekt können die deutschen Kinder die Situation nacherleben, in der sich anderssprachige Kinder zurecht finden müssen.

Auch können Personen eingeladen werden, die die Muttersprache der Kinder sprechen. In solchen Fällen oder bei Exkursionen in den Stadtteil können Kinder, die die Migrantensprache sprechen und schon über gute Deutschkenntnisse verfügen, als "Übersetzer" dienen. Sie können auch eingesetzt werden, um sich mit neu ankommenden Kindern zu verständigen, die nicht ausreichend Deutsch sprechen. Indem sie die gleiche Aussage einmal in der deutschen, danach in der Fremdsprache hören, werden sich Teile der gehörten Sätze einprägen. Zugleich wird das übersetzende Kind in seinen Fähigkeiten anerkannt und angespornt, sie weiter zu vervollkommnen.

Und natürlich sollten auch zweisprachige Bilderbücher und Kassettenhörspiele in der Muttersprache dieser Kinder vorhanden sein und den Kindern zu bestimmten Zeiten zur Verfügung stehen.

Zum "Code switching"

Schließlich werden zweisprachige Kinder auch immer wieder die "Codes wechseln", also oft im selben Satz Ausdrücke der einen Sprache mit der andern mischen. Das ist in der Anfangsphase, in der sie die neue Sprache kennen lernen, ein normales Verhalten. Erst über eine genauere Sprachkenntnis können sie dann die beiden Sprachsysteme auseinanderhalten und die in jeder einzelnen Sprache gültigen Bildungsregeln unterscheiden. Auch dann noch werden sie manchmal beide Sprachen vermengen.

Entscheidend ist, wem gegenüber sie das tun. Jede sprachliche Aussage bezieht sich auf ein Gegenüber, auf das sich der Sprecher einstellt. Sprachmischung ist unter zweisprachigen Jugendlichen sehr verbreitet, die beide Sprachen gut beherrschen. Jede Sprache verfügt über Bezeichnungen, die Zusammenhänge angemessener zum Ausdruck bringt als die vergleichbaren Bezeichnungen der anderen Sprache. Sie werden dann herangezogen, um sich genauer mitzuteilen. Sprechen Kinder mit Menschen, die gleichfalls beide Sprachen beherrschen, ist das wiederum ein normales und sinnvolles Verhalten. Tun sie das auch gegenüber Menschen, die nur eine Sprache sprechen, ist das bedenklich, weil sie eine wesentliche Regel menschlichen Kommunikationsverhaltens nicht beachten.

Michaela Ulich/ Toni Mayr: SISMIK. Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen, Freiburg 2002

Beobachtungsbogen zum Sprachverhalten und zur Gestaltung der Sprachförderung von Migrantenkindern.

Elke Schlösser: Wir verstehen und gut. Spielerisch Deutsch lernen, Münster 2001

Sprachförderung in kulturell gemischten Gruppen anhand alltäglicher Themen

Heinz Göbel/ Traudel Müller/ Martha Schneider: Du und Ich. Unterrichtspraktisches Handbuch für Deutsch als Zweitsprache im Kindergarten, Berlin 1983

Sprachfördernde Aufbereitung von Sachthemen. Mit Medienvorlagen und Liederheft

Zum zweisprachigen Kindergarten

Manche Kinder wachsen von klein auf mit zwei Sprachen auf (Doppelspracherwerb), weil nahe Bezugspersonen unterschiedliche Sprachen sprechen. Entgegen den ursprünglichen Befürchtungen, die immer noch weit verbreitet sind, stellt das für die Kinder im allgemeinen kein Problem dar. Sprache zeigt sich auch in diesen Fällen als Teil der elementaren frühkindlichen Beziehung, deshalb werden die Sprachen der Betreuer ganz problemlos übernommen, wenn die Beziehung stimmt, in die sie eingebettet ist. Als Regel gilt, dass die Betreuer in ihrer Muttersprache sprechen, wenn sie allein mit den Kindern sind. Die Sprachen können zugeordnet und in aller Regel gleichzeitig ohne große Einbußen erworben werden. Gelegentliche Vermischungen oder Fehlkonstruktionen stellen kein Problem dar, weil sie im kommunikativen Umgang von den Kindern selbst korrigiert werden.

Etwas anders liegt der Fall bei den Versuchen, deutschen Kindern die ersten Fremdsprachenkenntnisse schon im Kindergarten zu vermitteln. Zweisprachige Kindergärten sind zu begrüßen, weil Kinder in diesem Alter Sprachen noch intuitiv und ohne bewusste Anstrengungen lernen können. Bezogen auf den Spracherwerb gibt es zweifellos "Entwicklungsfenster", das sich im Schulalter allmählich schließt und das deshalb rechtzeitig genutzt werden kann. Abgesehen davon, dass das Beherrschen mehrerer Sprachen im Europa von heute bald zur Selbstverständlichkeit werden dürfte, war Mehrsprachigkeit vor dem Aufkommen der Nationalstaaten weit verbreitet und fast normal.

Auch hier gilt, dass der Zweitspracherwerb nicht irgendeine Art Schulunterricht vorwegnehmen kann, sondern sinnvolle und einsehbare Sprechanlässe in der Fremdsprache anzubieten hat. Das heißt vor allem, dass die Einrichtung sowohl mit Kindern wie Erzieherinnen belegt wird, die die fremde Sprache als Muttersprache sprechen, dass es für Kinder also Sinn macht, diese Sprache im Umgang mit ihnen zu benutzen. Nur wo Kinder sich zu verständigen suchen und das mit ihren muttersprachlichen Kenntnissen nicht zustande bringen, werden sie angeregt, sich erste Fremdsprachenkenntnisse anzueignen. Wo sie durch die Sprechsituation zum Benutzen der Fremdsprache motiviert sind, kann dann ihre Sprachkenntnis auch durch eine Art "spielerischen" Unterrichts ergänzt und verbessert werden.

Gemessen an dem Ausmaß, dem Kinder einer Fremdsprache ausgesetzt sein müssen, um sie auf natürliche Weise zu erwerben, wird der zweisprachige Kindergarten immer nur eine erste und beiläufige Einführung in die fremde Sprache geben können. Die Erfahrung zeigt auch, dass die fremdsprachigen Kinder in diesen Einrichtungen besser Deutsch lernen als die deutschen die fremde Sprache: Die fremdsprachigen Kinder sind eben auch außerhalb der Einrichtung mit dem Deutschen konfrontiert und unterliegen deshalb einem sehr viel intensiveren Sprachbad.

Norbert Huppertz (Hg.): Fremdsprachen im Kindergarten. Didaktik, Methodik, Praxis, Oberried 2003

Aufsatzsammlung zur Theorie der Zweisprachigkeit und die Arbeit in zweisprachigen Kindergärten

Dagmar Kamm: The early bird catches the worm. Englisch im Kindergarten, München 2001

A lot of nursery rhymes, songs and games


11.10.2004