Gebildete Kindheit

Handbuch der Bildungsarbeit im Elementarbereich

Teil 3: Die Bildungsbereiche

 

3.2 Bildungsbereich Spiel und Phantasie

Alles Spiel ruft in diesem Alter nach Bewegung. Erst über das bewegte Spiel können Phantasien "realisiert" und ausgelebt werden. Beim Gehen über das am Boden liegende Seil balancieren die Kinder über eine unergründliche Schlucht hinweg und konzentrieren sich darauf, den lebensgefährlichen Übergang zu meistern. Die spielerische Bewegung erzeugt die Vorstellung und die Vorstellung wird in Gang gehalten durch die Bewegung.

3.2.1 Von der Natur des Spiels

Neben der Sprache ist es das Spiel, das den Menschen zum Menschen macht und von allen übrigen Lebewesen unterscheidet. Zwar spielen auch junge Tiere. Sie agieren dabei instinktive Verhaltensweisen aus, beißen zu, ohne ernsthaft zu beißen, verfolgen sich und trainieren darüber ihre arteigenen Verhaltensweisen. Junge Katzen jagen hinter einem Wollknäuel her, als ob es sich um die Maus handelte. Das Wollknäuel dient als Auslöser ihres Jagdverhaltens, aber nach allem, was wir wissen, sind ihre Spiele nicht von Vorstellungen geleitet. Oder anders gesagt: Sie wissen nicht, dass sie das Wollknäuel als Maus benutzen.

Menschliches Spiel ist symbolisches Spiel

Natürlich balgen sich auch Kinder zum Spaß, hüpfen, springen, erproben ihr Gleichgewicht, erweitern damit ihre Geschicklichkeit und trainieren zentrale körperliche Funktionen. Es sind die Tätigkeiten, die als "Funktionsspiele" bezeichnet werden und die nur aus Lust an der Bewegung und der damit verbundenen körperlichen Selbsterfahrung ausgeführt werden. Säuglinge erkunden in solchen Bewegungsabläufen ihre Aktionsmöglichkeiten und erforschen darüber ihre Umwelt.

Aber sehr bald werden diese Spiele von Vorstellungen begleitet, die sie auslösen und steuern. Mit der Spielfähigkeit, die schon um den ersten Geburtstag herum sich auszubilden beginnt, lösen die Bewegungen Vorstellungen aus. Zunächst eher zufällig und abhängig von Gegenständen, die ins Wahrnehmungsfeld geraten und Anlass zu Spielhandlungen geben. Mit der entwickelten Spielfähigkeit kehrt sich das Verhältnis dann um: Jetzt werden die Gegenstände gesucht, um an ihnen vorgedachte Handlungen auszuführen.

Aber auch, wo es scheinbar nur um körperliche Bewegung oder reine Konstruktionsspiele geht, heften sich Vorstellungen an die Tätigkeiten. Selbst wo nur Bauklötze übereinander geschichtet werden, entsteht vor dem inneren Auge des Spielenden ein Turm, den man besteigen oder gegen Angreifer verteidigen kann. Beim konzentrierten Buddeln unter den Ästen eines Baumes taucht die Vorstellung auf, darunter auf einen Schatz zu stoßen. Menschliches Spiel ist fast von Anfang an "symbolisch", stellt über Spieltätigkeiten und Gegenstände imaginierte Handlungen und Dinge dar. Das heißt aber, dass den Spielenden die Fiktivität ihres Handelns bewusst ist.

Wir spielen nicht nur in der Kindheit

Wiederum anders als die meisten Tiere spielen wir nicht nur in unserer Kindheit. Menschen bleiben lebenslang Spieler, die Frage ist nur, ob und in welchen Formen sie im Erwachsenenleben dazu noch Gelegenheit haben und sie sich noch gestatten können zu spielen.

Dass wir Spielen vor allem als Beschäftigung von Kindern ansehen, hat mit der Erwachsenenrolle zu tun, die sich in der bürgerlichen Arbeitsgesellschaft herausbildete. Aus zahlreichen Berichten und Abbildungen wissen wir, dass die Menschen in früheren Gesellschaften auch im Erwachsenenalter begeisterte Spieler waren. Die Pädagogen und Volksaufklärer des 18. Jh.s kämpfen dann erbittert gegen das Laster der "Spielsucht", die der in der neuen Gesellschaft geforderten Arbeitshaltung entgegenstand. Erwachsensein verbindet sich nun mit gesellschaftlicher Arbeit, und Spielen wird in hartem Gegensatz zum Ernst der Erwerbsarbeit gesehen, die sich ja tatsächlich für viele Menschen in eintönigen Handgriffen erschöpfte und immer noch erschöpft. Das Spiel des Erwachsenen wurde auf die "Freizeit" beschränkt, in der er sich von der Berufsarbeit erholen soll und deshalb auch entspannt spielen darf. Die mit der Verkürzung der Arbeitszeiten entstehende "Freizeitgesellschaft" bietet ihren Mitgliedern, von den Gesellschaftsspielen bis zum Fernsehquiz, ständig Spielanreize, die von den meisten Menschen dankbar angenommen werden. Allerdings verlaufen die meisten Freizeitspiele der Erwachsenen nach festen Regeln und Ritualen, und zeigen nicht mehr die offene Beweglichkeit kindlichen Spielens.

Spiel und Arbeit

Inzwischen hat sich aber auch das Verhältnis von Spiel und Arbeit verändert.

Zwar forderte produktive Arbeit schon immer einen guten Schuss Spielfähigkeit. In der heutigen Arbeitswelt wird jedoch für immer weitere Arbeitsbereiche ein gewisses Maß an spielerischer Beweglichkeit erwartet. In Stellenanzeigen ist deshalb von "Kreativität" und "Innovationsfähigkeit" die Rede. Gemeint ist die Fähigkeit, Problemlösungen durch offenes Assoziieren zu finden statt durch systematisches Forschen, sowie die Bereitschaft, von gewohnten Pfaden abzuweichen und neue Wege zu erproben. In beiden Fällen wird eine bewusst einsetzbare und bewegliche Vorstellung verlangt, sozusagen ein Spielen mit den Möglichkeiten im Kopf, das sich nur über das tätige Spielen ausbilden und kultivieren lässt. Insofern entfaltet schon das kindliche Spiel eine "Schlüsselqualifikation" für die spätere Arbeitswelt.

Spricht man vom "Arbeiten", sind zwei Begriffe zu unterscheiden: Einmal die Fähigkeit des Menschen, die eigene Umwelt nach seinen Bedürfnissen und Absichten zu bearbeiten, und zweitens die Notwendigkeit, in unserer Erwerbsgesellschaft gegen Lohn im Dienste eines Arbeitgebers sein Brot zu verdienen. Spielen entspricht diesem ersten und ursprünglichen Begriff von Arbeit, und in diesem Sinne stellt Spiel die Arbeit des Kindes dar und ist so ernst zu nehmen wie die produktive Arbeitstätigkeit des Erwachsenen. Tatsächlich werden im kindlichen Spiel Fertigkeiten und Fähigkeiten ausgebildet, die ihm später in der Arbeitswelt zugute kommen: zielgerichtetes Streben, selbst motivierte Ausdauer, offenes Probehandeln und dergleichen mehr.

Die schillernde Natur des Spiels

Die Frage, was Spielen ausmache und welchen Sinn es im menschlichen Leben einnehme, hat gelehrte Denker seit Jahrhunderten beschäftigt.

Es ist dem philosophischen und wissenschaftlichen Nachdenken über das Spiel jedoch bezeichnenderweise niemals gelungen, eine brauchbare und allgemein akzeptierte "Spieltheorie" auszuarbeiten. Alle Bestimmungen beschreiben wichtige Gesichtspunkte und Funktionen des Spiels, sind aber nicht in der Lage, es in allen seinen Facetten vollständig zu erfassen. Das allein besagt schon eine Menge über das Wesen des Spiels, dessen bewegliche Offenheit sich gegen jede einfache Formel sperrt. Theoretische Begriffsbestimmung ist auf klare und eindeutige Aussagen angewiesen und verheddert sich bei der schillernden Natur des Spiels immer wieder in schwer auflösbare Widersprüche. Obwohl sich beispielsweise fast alle Spieltheoretiker darin einig sind, dass Spielen anders als die Arbeit keinen unmittelbaren Zweck verfolgt, kreist die Diskussion dann doch immer wieder um einen versteckten Nutzen, der sich hinter dem Rücken der Spielenden realisiere, ähnlich wie der Zweck des Spielens junger Katzen mit dem Wollknäuel im Training ihres Jagdinstinkts gesehen wird.

Die Theorie der Vorübung

In pädagogischen Abhandlungen zum kindlichen Spielen erfreute sich der Hinweis auf eine versteckte Nützlichkeit kindlichen Spielens besonderer Beliebtheit.

Sie hat verschiedene Ausprägungen gefunden. Um die Wende zum 20. Jh. stellte Groos die These auf, kindliches Spielen diene der Vorübung von Tätigkeiten und Fähigkeiten, die der spätere Erwachsene beherrschen müsse. Das psychoanalytische Verständnis ging in veränderter Form in eine ähnliche Richtung: Dem Kind, das sich in ständiger Unterlegenheit und Abhängigkeit vom Erwachsenen befinde, ermögliche Spielen, Wünsche und Ängste im Medium des Spiels zu realisieren, es müsse also nicht warten, bis es selbst die aus seiner Sicht mächtige Stellung des Erwachsenen erreiche. Auch diese Argumentation läuft auf ein "Lernen" für das spätere Leben hinaus: dem Spielen wird damit bescheinigt, Kinder würden über die spielerischen Nachahmungen der Erwachsenenwelt in ihre späteren gesellschaftlichen Rollen hineinwachsen und darüber auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet.

In der moderneren Version wird auf die vielen "Kompetenzen" hingewiesen, die kindliches Spielen ganz nebenbei ausbilde und die Kinder gerade auch auf die Anforderungen der Schule und der spätere Berufsarbeit vorbereiteten. Insbesondere ist es die bewegliche Vorstellungskraft, das Spielen im Kopf, das die schon erwähnten "Qualifikationen" kreativen Querdenkens befördere. Alle diese Konzeptionen laufen darauf hinaus, dem Spielen einen tiefen und anhaltenden Nutzen für das spätere Leben zuzuschreiben.

Solche Bestimmungen treffen einzelne Gesichtspunkte, aber sie erschöpfen nicht die Natur des Spielens. Was immer nebenbei darüber an Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben werden mag, weder das kindliche noch das Spiel von Erwachsenen erschöpft sich in nutzbaren Resultaten. Bei Kindern mag das noch einleuchtender sein, denn natürlich spielt kein Kind um irgendwelche später brauchbaren "Kompetenzen" zu erwerben. Halten wir deshalb fest: Spielen sprengt alle bewussten oder durch die Hintertür sich ergebenden Nutzanwendungen. Spielen genügt sich selbst und ist sich im Augenblick des Spielens Zweck genug.

Gestaltung der inneren Vorstellungen

Fragt man nach, was Spieler im Moment des Spielens zu dieser zwecklosen Beschäftigung motiviert, dann muss man sie im aktuellen Spielgeschehen selbst suchen. Und darauf lässt sich durchaus eine Antwort finden. Von den ersten Anfängen an erlaubt uns das Spiel, innere Regungen und Bilder in stellvertretenden Gestaltungen nach außen zu kehren und damit mitteilbar zu machen. Es erlaubt (Kindern wie Erwachsenen), den begrenzten sinnlichen Wahrnehmungsradius zu sprengen, Handlungen, Wünsche und Träume (Spiel-)Wirklichkeit werden zu lassen, die alle eigenen Handlungsmöglichkeiten übersteigen. Spielen ermöglicht, diese Vorstellungen über die stellvertretende "symbolische" Darstellung in die gelebte und sinnlich erfahrbare Wahrnehmung zu übertragen. Es gestattet, Wünsche, Bedürfnisse und Ängste, die ja oft mit den äußeren Lebensbedingungen so schwer vereinbar ist, zum Ausdruck zu bringen und mitzuteilen.

Das Zwischenreich des Spiels

Bei der Umsetzung innerer Vorstellungen in die spielerische und symbolische Gestalt aber verändern sie sich. Sie müssen sich an die Formsprachen anpassen, die die kulturell geprägten Spielweisen zur Verfügung stellen, weil sie nur dann mitteilbar und verstehbar werden. Es entsteht darum so etwas wie ein dritter Bereich unserer Wahrnehmung zwischen der sinnlich erfahrbaren Außenwelt und der nur uns selbst zugänglichen Innenwelt. Es ist die gleiche Umformung zu einer verständlichen und nachvollziehbaren Produktion, die dem künstlerischen Schaffen zugrunde liegt. Was jeder Mensch in seinen spontanen Spielen realisiert, ist letzten Endes nichts Anderes als das, was ein Künstler tut, nur dass die künstlerischen Gestaltungen eine größere Allgemeingültigkeit erreichen, mehr Menschen darin ihre eigenen Sehnsüchte und inneren Bilder wieder erkennen. Spielen ist deshalb auch die Triebfeder und der Ursprung aller menschlichen Kultur und in diesem Sinne ist Friedrich Schillers berühmter Satz zu verstehen, der Mensch sei nur da vollkommen Mensch, wo er spielt.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Spielen so wesentlich für die Entwicklung von Kindern ist. Es erlaubt ihnen, innere Impulse und Neigungen darzustellen und auszutauschen, und führt sie zugleich in die Gesellschaft und die Kultur ein, in der sie aufwachsen. Es stellt ein Gegengewicht gegenüber der übermächtigen materiellen und gesellschaftlichen Wirklichkeit dar, und lässt die Spielenden zugleich teilhaben an den Regeln und Mythen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherstellen.

3.2.2 Wie Kinder spielen

Kinder und Kindheit identifizieren wir fast selbstverständlich mit dem Spielen, und nur ein Kind, das ausdauernd und phantasievoll zu spielen versteht, ist ein "richtiges" Kind. Und damit verbindet sich die Auffassung, Kinder verstünden zu spielen, eben weil sie Kinder sind. Die Kehrseite dieser Vorstellung legt die Erwachsenen einseitig auf die ernsthafte gesellschaftliche Arbeit fest. Aber ein genauerer Blick enthüllt ein etwas anderes Bild: Zwar haben Kinder eine quasi "natürliche" Neigung zum Spiel, dennoch muss es wie fast alle menschlichen Fähigkeiten erst gelernt werden.

Mutter-Kind-Spiele

Angelegt wird die kindliche Spielfähigkeit sehr früh innerhalb der Mutter-Kind-Interaktion, beispielsweise im Guck-guck-Spiel, das jede Betreuungsperson, ohne nachzudenken, ab etwa dem sechsten, siebten Monat mit Kindern inszeniert: Das Verschwinden des mütterlichen Gesichts, das im Ernstfall Unbehagen auslösen würde, wird hier jedoch mit freudigem erwartungsvollem Lachen quittiert. Denn schon der Säugling weiß, dass das Verschwinden nur gespielt ist, dass die Mutter gleich wieder erscheinen wird. Irgendwann nach dem ersten Geburtstag wird dann das Kind die Rollen tauschen und sich selbst verstecken.

Wenige Monate nach dem Auftreten der ersten Guck-guck-Spiele läßt sich das von Daniel Stern so bezeichnete "Abstimmungsverhalten" beobachten: Die Mutter wiederholt den Rhythmus kindlicher Äußerungen in einem andern Modus, beispielsweise kann sie das Stakkato seines Krähens im Rhythmus wiederholen, mit dem ihre Finger ihm kitzelnd über den Bauch krabbeln. Damit überträgt sie einen Handlungsablauf in einen andern und bereitet die Fähigkeit "symbolischer" Übertragung vor, die allem Spielen zugrunde liegt. Wie sehr Kinder zu spielen verstehen, hängt auch von diesen ersten Anregungen ab.

Der Beginn des gegenständlichen Spiels

Die ersten Spielakte finden also noch in der Begegnung zwischen Betreuer und Kind statt. Aber auch das Spielen mit stellvertretenden Gegenständen hat seine Wurzeln schon im Säuglingsalter: Der gemeinsame Bezug auf Gegenstände wird im Gib-und-Nimm-Spiel eingeübt, das symbolisch den sozialen Austausch zwischen den Partnern repräsentiert und die Aufmerksamkeit des Kindes auf die gegenständliche Welt lenkt. Indem deren Eigenschaften mit den Händen und allen Sinnen "begriffen" werden, können dann in der Folge auch die alltäglichen Handlungen und Gegenstände umfunktioniert werden und eine abweichende gespielte Bedeutung annehmen.

Miteinander spielen

Sobald Kinder die grundsätzliche Spielregel, das Ersetzen einer Handlung durch eine andere, realisiert haben, beginnen sie auch allein zu spielen. Sie gehen mit der Puppe so um, wie die Mutter mit ihnen umzugehen pflegt, geben ihr zu trinken und zu essen. Oder sie schieben einen Holzbaustein brummend über den Tisch und fahren damit Auto.

Das einsame Spielen wird zum sozialen Spiel, sobald andere Kinder anwesend sind. Zunächst spielen sie im sogenannten "Parallelspiel" nebeneinander gleiche oder ähnliche Spiele, ohne zusammen zu spielen. Sie beobachten sich dabei und übernehmen von anderen, insbesondere von älteren Kindern, neue Spielmöglichkeiten und verbessern damit laufend ihre Spielfähigkeit.

Das Nebeneinanderspielen geht dann in ein Spielen mit den anderen Kindern über, bei dem eine gemeinsame Spielfiktion ausgedacht und verfolgt wird. Ohne die gegenseitigen Anregungen würden die phantasievollen Spiele, die man dabei beobachten kann, nicht zustande kommen. Um gemeinsam zu spielen, müssen sie sich im Verlaufe des Spiels laufend über den Fortgang absprechen und ihre Ideen, Wünsche und Spielvorschläge koordinieren. Das ergibt sich schon beim Bauen einer Landschaft im Sandkasten, tritt aber noch viel auffallender beim Rollenspiel hervor, das nur über die ständige Abstimmung zwischen den Spielenden in Gang gehalten wird. Diese Abstimmung verlangt nicht nur die sprachliche Vereinbarung, sondern zwingt zur genauen Wahrnehmung der Aktivitäten des Spielpartners. Damit fördert Spielen ganz entscheidende Bereiche altersgemäßen Lernens: Soziale Wahrnehmung, Kommunikation und Sprachbeherrschung.

Auch dann aber spielen Kinder phasenweise wieder allein, in ihr einsames Spiel verloren, besonders beim "Konstruktionsspiel", bei dem mit freien Materialien oder vorgefertigtem Spielzeug so etwas wie Modelle gebaut werden, gleichgültig, ob sie sich nun an bekannte Vorbilder anlehnen oder freie Phantasiegebilde erstellen. Aber selbst diese scheinbar einfacheren Spiele sind schon begleitet von Phantasien der Spielenden, die davon handeln, was man in und mit diesen Gestaltungen tun könnte. Sie beruhen bereits auf sozialen Phantasien.

Die gemeinsamen Rollenspiele

Die Spiele, in denen der soziale Umgang im Vordergrund steht und die eigentliche Spielmotivation ausmacht, nehmen den wichtigsten Platz im kindlichen Spielverhalten ein. Es sind die "Rollenspiele", die Kinder ab etwa 3 Jahren unermüdlich und in immer neuen Varianten spielen, und die wiederum gegenständliche Spielaktivitäten mit einschließen: Um die Spielorte herzurichten oder die notwendigen Spielutensilien zu beschaffen, wird organisiert, umfunktioniert und konstruiert. Aus Kissen und Decken wird unter dem Tische eine Wohnung vorbereitet, oder das umgekehrte Tischchen wird als Boot eingesetzt, in der Mitte ein Besen als Mast angebracht und das Tischtuch als Segel darüber gehängt. Das Spiel regt also auch die kreative Gestaltung und die handwerkliche Feinmotorik an. Das alles aber sind nur Voraussetzungen, um das eigentliche Spiel zu realisieren, das soziale Zusammenwirken, das gleichzeitig immer auf zwei Ebenen abläuft, die aufeinander einwirken und sich ergänzen: Auf der einen Seite ist es der Umgang zwischen den Spielenden, der eingebettet ist in eine Handlung, die spielend vorangetrieben wird und sich zu einer Art Erzählung ausweitet. Auf der anderen Seite die laufende gegenseitige Verständigung über die Spielhandlung, deren Personen und die Spielweisen.

Anders als das Theaterspiel braucht das kindliche Rollenspiel keinen Regisseur und keine Vorlage. Die Spielenden stimmen sich jeweils durch explizite oder implizite Abmachungen über die Spielinhalte ab: Entweder steigen sie kurz aus dem Spielgeschehen aus und besprechen, wie es weitergehen soll. Oder ein Spieler bringt ein neues Thema oder eine neue Figur ins Spiel und die Mitspieler lassen sich weiterspielend darauf ein. Das Interesse an einer gütlichen Einigung ist dabei größer als bei "ernsthaften" Auseinandersetzungen und es gelingt den Spielgruppen meist, sich über recht lange Zeit zu verständigen. Da die Vorstellung immer noch die Tätigkeit in der stellvertretenden Spielhandlung braucht, um sich gegen die Übermacht der gegenwärtigen sinnlichen Wahrnehmung zu behaupten, sind die Spielenden motiviert, das Spiel nicht abbrechen zu lassen und den gemeinsamen Phantasieraum nicht verlassen zu müssen. Sie suchen deshalb nach Vereinbarungen, die den Interessen und Wünschen aller Beteiligten gerecht werden, und sie zeigen dabei eine Flexibilität und einen Erfindungsreichtum, den sie in alltäglichen Konflikten oft vermissen lassen. Über das fortgesetzte Rollenspiel werden Verständigung und Kompromisse geübt und können dann auch mehr oder weniger auf Alltagssituationen übertragen werden. Das Rollenspiel ist insofern eine Vorschule sozialen Lernens, und da die expliziten Absprachen über die Sprache ausgehandelt werden, fördert es zugleich die sprachlichen Fähigkeiten der Spielenden, die ja obendrein ständig in den darstellenden Spielsequenzen gefordert werden.

Vom Rollenspiel zum Phantasiespiel

Während die Drei- oder Vierjährigen vor allem Rollen und Handlungen nachspielen, die sie in ihrem Umfeld beobachtet haben, Mama und Papa darstellen oder Müllmann und Polizisten, sprengen die Spiele der Älteren zunehmend die alltägliche Erfahrung, realisieren Phantasien und greifen Stoffe aus Büchern und Medien auf. Auch in ihrer Form nähern sie sich Erzählungen an. Es geht dann weniger um das Nachspielen gesellschaftlicher Rollen, sondern um die Aufrichtung komplexer Fiktionen. Sie werden darum in Abgrenzung zum eigentlichen Rollenspiel auch als "Fiktionsspiele" oder "Phantasiespiele" bezeichnet.

Anfänglich werden in den kindlichen Rollenspielen Alltagssituationen nachgestellt. Das Kind etwa füttert die Puppe, wie es selbst gefüttert wurde, fährt mit dem Auto zur Arbeit, wie das die Eltern tun, oder kämmt sich, um sich für eine Einladung schön zu machen. Das heißt, es sind die alltäglichen Routinehandlungen, die sogenannten "Skripts", die nachgespielt werden. Sie folgen einer Regelhaftigkeit, die uns so selbstverständlich ist, dass sie nicht mehr auffällt. Ein Restaurantbesuch etwa setzt sich aus dem Betreten des Lokals, dem Bestellen, dem Verzehr und dem Bezahlen zusammen. Indem sie diese alltäglichen Rituale nachspielen, machen sich Kinder bewusst, wie man sich in ihrer Umwelt zu verhalten hat.

Sehr bald erweitert sich das kindliche Spielrepertoire um die außerordentlichen Ereignisse, die den gewohnten Ablauf sprengen. Dann wird ein fauler Fisch serviert oder der Gast hat kein Geld zum Bezahlen dabei. Das Spiel wird nun viel spannender, denn es muss ausgehandelt werden, wie die Geschichte ausgeht. Die abgesprochenen Spielfiktionen und die spielend improvisierten Handlungen fügen sich zu einer Folge zusammen, die sich immer mehr an Geschichten annähert. Darum sind es im Ansatz Geschichten, die nun im Spiel ausgearbeitet werden, und die mit wachsender Spielfähigkeit immer komplizierter und phantastischer werden. Geschichten folgen aber festgelegten Regeln, die sie erst als Geschichten erkennbar machen und die dann beim Erzählen genau befolgt werden müssen, um verstanden zu werden. Beim improvisierten Rollenspiel reicht noch die Andeutung der Struktur, weil es keine Zuschauer kennt, und nur die Spielenden ihre Geschichte verstehen müssen.

Erzählfiktionen im Rollenspiel

Zuerst bringt ein Ehemann seinen Lohn nach Hause zu seiner Frau. Er ist sehr stolz, und sie zeigt sich dankbar und entzückt. Dann gibt sie ihm ihr verdientes Geld, und er zeigt sich ähnlich gerührt: 'Ich danke dir, Schatz.' Er regt an, sie könnten jetzt Ferien machen 'in einem wunderbaren Hotel am besten Platz in Puerto Rico'. Sie machen sich sofort auf den Weg (ohne zu packen), und sie fährt mit dem Auto, während er hinfliegt. In Puerto Rico angekommen, befinden sie sich an einem Strand, wo er ein Monster erblickt und es umbringt, um seine Frau zu schützen. Sie entscheidet, nach Baltimore zurückzufahren, und er erinnert sie daran, dass sie auf ihn warten muss, 'denn ich bin dein Ehemann, Schätzchen'. Zu Hause zurück (ohne diesmal die Reise darzustellen), entdeckt er im Wohnzimmer Feuer. Er setzt eine Feuerwehrmütze auf und löscht die Flammen mit einem Schlauch (mit einer Stoffschlange). Die Frau erspäht noch ein neues und schließlich ein drittes Feuer. Er eilt in der Runde zu den entsprechenden Zimmern, löscht die Feuer und sorgt für die Sicherheit seiner Frau, bis schließlich das Feuer gar am Himmel erscheint und sogar 'Gott umbringen' könnte. Die Feuerschlauch-Schlange wird in eine magische Schlange verwandelt, die schließlich das Feuer endgültig löscht (Garvey 1982, S. 86).

Übergang zu Regelspielen

Das Regelspiel, das im Schulalter immer mehr das Rollenspiel ersetzt, ist durchaus auch als seine Fortsetzung zu verstehen. Der Spielregel liegt so gut wie immer noch eine einfache Erzählung zugrunde. Das gilt selbst für so simple Spiele wie "Mensch ärgere dich nicht", das auf einen Wettlauf zwischen den Beteiligten hinausläuft. Die erzählende Grundlage tritt in den anspruchsvolleren Spielen sehr viel deutlicher hervor, wie etwa beim Schach, das den Kampf zweier Königreiche nachstellt, den wir aus so vielen großen Epen wie etwa dem "Nibelungenlied" kennen. Die neueren Brettspiele, wie sie aus der Spielebewegung der 70er und 80er Jahre hervorgingen, haben die erzählenden Anteile über ein kompliziertes Regelwerk wieder stark ausgebaut. (Man denke etwa an Spiele wie "Die Siedler").

Interaktive Computerspiele

Schließlich sind auch die Computerspiele als Regelspiele zu verstehen.

Die Spielregeln müssen nun nicht mehr aus der Spielanleitung entnommen oder selbst ausgedacht werden, sondern stecken in der Programmierung des Spiels. Da der Computer ein hochkompliziertes Regelwerk mühelos speichern und ausführen kann, können diese Spiele die einfachen graphischen Zeichen der Brettspiele in eine fast filmische Darstellung überführen. Zugleich können den Spielern Alternativen und offene Entscheidungswege angeboten werden. Im Rahmen dessen, was die Programmierer vorgesehen haben, können die Nutzer über die Weiterführung des Spiels selbst entscheiden. Die "interaktiven" Angebote machen diese Spiele auch schon für Kinder attraktiv, ermöglichen sie den Spielern doch, auf diemediale Vorlage zu reagieren.

Die frei schwebende Phantasie des Jugendlichen

Aus dem Spiel heraus entwickelt sich die Phantasie. Zunächst braucht das spielende Kind die stellvertretenden Spielhandlungen, um seine Spielphantasien zu halten. Man erkennt das bei zwei- oder dreijährigen Kindern daran, dass ihre Spiele noch von den zufällig gefundenen Gegenständen abhängen. Sie greifen nach einem Stück Holz, dessen Form sie an eine Bürste erinnert, um sich damit zu kämmen. Später, mit vier oder fünf, haben sie schon im Kopf, was sie darstellen wollen, und beginnen gezielt nach geeigneten Gegenständen zu suchen. Noch brauchen sie die Handlungsebene des Spiels, um diese Phantasien über längere Zeit aufrecht zu halten. Wiederum einige Jahre weiter, in den Jahren der Grundschule, genügen dann schon einige Sätze, um Phantasien auszuspinnen. Jetzt sind es vor allem Erzählungen, die die Phantasietätigkeit anregen und ausgestalten. Spätestens mit dem Einsetzen der Pubertät hat sich die Fähigkeit des Tagträumens ausgebildet: Die inneren Filme können nun auch ohne Spielhandlung und sprachlos über Stunden ausgebreitet und genossen werden. Die Phantasie hat sich endgültig vom Spielen abgelöst, hätte sich aber ohne die Spieltätigkeit nicht in dieser Weise ausbilden können. Phantasie und Kreativität sind deshalb letzten Endes Ergebnis der kindlichen Spieltätigkeit. Phantasie lässt sich als Spielen mit inneren Vorstellungen (ohne die gegenständliche Handlung) bezeichnen, Kreativität als Anwendung dieser Fähigkeit auf das Lösen von Problemen, wobei angemessene Handlungen oder Lösungswege im spielerischen Ausprobieren (also auf assoziativem Wege statt über systematisches Nachdenken und Erproben) gefunden werden.

Aber auch wenn Jugendliche befähigt sind, sozusagen nur noch im Kopf zu spielen, zeigen sie doch weiterhin eine "natürliche" Tendenz, ihre Phantasien auszuagieren: Ihre Unterhaltungen bleiben von Spieleinlagen und gestisch-mimischen Darstellungen durchsetzt.

3.2.3 Öffentliche Spielplätze

Es ist keine Frage, dass Spielen überhaupt, und insbesondere das Spielen in der Gruppe, eine tiefe und nachhaltige Wirkung auf die kindliche Entwicklung ausübt, dass dabei wie nebenbei Wahrnehmung und Beweglichkeit gefördert wird, in der ständigen Abstimmung die Sprachbeherrschung verbessert, in der Auseinandersetzung mit den anderen Spielern die eigenen Bedürfnisse geäußert und mit den andern abgestimmt und so die Selbstwahrnehmung gestärkt und soziales Verhalten angeregt werden. Da Kinder spontan und selbsttätig zum Spielen neigen, könnte die Beschreibung der kindlichen Spieltätigkeit zur Schlussfolgerung führen, die Kinder von pädagogischen Absichten zu verschonen und sie schlicht ihrem freien und spontanen Spiel zu überlassen, weil sie die genannten Fähigkeiten am besten von selbst und ohne erzieherische Eingriffe erwerben.

Spielen braucht Gelegenheit und Anregung

Zwei gewichtige Gründe sprechen dafür, das kindliche Spiel nicht einfach außerhalb pädagogischer Überlegungen zu lassen:

  • Erstens: Wie wir schon bei den Anfängen der kindlichen Spieltätigkeit beobachten können, entsteht kindliches Spielen nicht von selbst und völlig spontan, sondern wird durch das Verhalten der Bezugspersonen angeregt und gefördert. Sobald die Spielfähigkeit grundsätzlich ausgebildet ist, wird sie durch das Vorbild mitspielender Kinder ausdifferenziert und durch eine spielfreundliche Umgebung angeregt. Spielend werden dann mit den Mitspielenden immer neue und komplexere Spielweisen erworben. Was Kinder nun vor allem brauchen, ist der Raum und die freie Zeit, in Spielgruppen spontan und nach ihren eigenen Vorstellungen zu spielen. Spielräume und Spielzeiten müssen ihnen aber von den Erwachsenen zugestanden und zur Verfügung gestellt werden.
  • Zweitens: Solche offenen Spielsituationen sind für Großstadtkinder heute eher selten geworden. Einerseits fehlt ihnen in den dicht bebauten und verkehrsreichen Siedlungsräumen das Gelände, das spielend mit anderen Kindern erkundet und mit den eigenen Phantasien besetzt werden kann. Auch fällt die Straße als Treffpunkt und Spielraum aus. Sie ist nicht nur zu gefährlich, sondern auch zu geordnet, zu wenig anregend und damit zu langweilig geworden.

Erfahrung schützt vor Unfällen

Aber selbst wo auf unbebauten Grundstücken oder Grünanlagen dieser natürliche Spielraum noch vorhanden ist, lassen Eltern, teils aus berechtigter Vorsicht, teils aus Überängstlichkeit, ihre Kinder kaum unbeaufsichtigt ins Gelände gehen.

Eltern, die ihre Kinder keinem unkontrollierten Spielen aussetzen möchten, sei gesagt: Mehr als alle Vorsicht schützt Kinder eine sichere Beziehung und das Vertrauen, dass sie Gefahren einschätzen und richtig zu reagieren vermögen. Diese Fähigkeit lässt sich überdies unterstützen, indem man sie in überschaubaren Situationen selbständig handeln lässt. Ihre Handlungsfähigkeit ist dann einigermaßen einzuschätzen. Untersuchungen, die von der Versicherungswirtschaft in Auftrag gegeben wurden, ergaben, dass die Unfallgefahr von Kindern deutlich steigt, die kaum Belastungen und Gefahren ausgesetzt waren. Sie können dann Gefahrensituationen nicht angemessen einschätzen.

Öffentliche Spielplätze

Der Einschränkung des öffentlichen Spielraumes begegnet unsere Gesellschaft mit der Bereitstellung von Plätzen, die für das Spielen von Kindern reserviert sind. Abgesehen davon, dass die Anzahl dieser Plätze kaum den Bedarf deckt, handelt es sich im allgemeinen dabei um sogenannte "Gerätespielplätze", die zu Recht immer wieder kritisiert werden.

Die entscheidenden Kritikpunkte sind:

  • Sie sind mit Bewegungsanlagen (Schaukeln, Wippen, Rutschen) bestückt, die zwar dem kindlichen Bewegungsdrang Raum bieten, aber eben fast nur zu Funktionsspielen einladen. Allenfalls der Sandkasten regt zu symbolischen Spielen an. Er ist aber nur für kleinere Kinder attraktiv. Die Spielphantasie der Kinder wird unterfordert.
  • Die Plätze sind meist als rechtwinklige offene Räume angelegt, die den Erwachsenen die Aufsicht erleichtern. Nischen und Ecken, um sich zurückzuziehen, fehlen im allgemeinen.
  • Zwar bieten sie Kindern, die in Mietswohnungen ohne bespielbares Außengelände leben, durchaus einen Spielraum, wo sie andere Kinder treffen und mit ihnen spielen können. Sie sind aber meist zu weit von der Wohnung entfernt, als dass Kinder sie alleine besuchen könnten.
  • Sie sind insgesamt als ghettoartige Schutz- und Schonräume angelegt, die die Kinder von der Umwelt isolieren.

Zwar hat es sich im Gefolge der Abenteuer- und Bauspielplätze eingebürgert, Spielplätze etwas anregender und phantasievoller auszustatten, z.B. Palisadenforts aus Holz oder auch Seilbahnen aufzustellen. Dennoch bestehen viele Plätze nach wie vor aus vorgefertigten Geräten, die nur beschränkte Spielmöglichkeiten vorsehen.

Beschränkung auf Bewegungsspiele

Auf diesem Spielplatztyp werden die Spiele durch die Geräte festgelegt und die Spielorte fixiert (nur im Sandkasten darf man buddeln!). Neue Umwelterfahrungen können auf dem sterilen Gelände nicht gemacht werden. Die oberflächlichen kurzfristigen Spielabläufe eintöniger, sich immer wiederholender Funktionsspiele werden einseitig gefördert. Da variable Spielgeräte, bewegliche Spielzeuge oder vielseitig verwendbare Materialien fehlen, werden die so wichtigen schöpferischen Gestaltungsspiele und die sozial wichtigen Rollen- und Regelspiele verhindert. (....)

Eine gewaltsame Reduktion der breiten Skala der Spielarten auf das Funktionsspiel, wie es durch die Ausstattung herkömmlicher Gerätespielplätze geschieht, wirkt sich hemmend auf eine gesunde Entwicklung des Kindes aus (Spitzer/Günter/Günter, 1975, S. 50/51 und S. 43).

Abenteuerspielplätze

Als Alternative zu den üblichen Spielplätzen etablierten sich seit den 70er Jahren betreute Abenteuer- und Bauspielplätze. Sie gingen auf Vorbilder in Dänemark und England zurück.

Solche Plätze bieten einerseits viele variable Spielmöglichkeiten für die verschiedenen Altersklassen: Sandflächen, Wasserstellen und Rückzugsräume für die Kleineren, offene Räume zum Rennen und Bolzen, Klettergelegenheiten an Bäumen oder Gerüsten, Tunnels zum Durchkriechen usw. Andererseits steht im Zentrum der Anlagen ein Bauplatz, an dem komplexe Konstruktionsspiele möglich sind, die Kinder Hütten oder andere Anlagen bauen können. Als Helfer und zur Unfallverhütung arbeiten hauptamtliche Betreuer auf dem Platz, stellen Material und Werkzeuge zur Verfügung und unterstützen die Kinder bei ihren Spielvorhaben. Sie benötigen deshalb auch ein festes Haus auf dem Gelände, in dem die Mitarbeiter kontaktiert werden und in dem sich Kinder bei Regenwetter unterstellen können.

Durch ihr vielfältiges Angebot kommen Abenteuerspielplätze dem kindlichen Spielbedürfnis entgegen und fördern neben komplexen und befriedigenden Spielformen auch das soziale Verhalten, die handwerklichen Fertigkeiten und die Naturbegegnung. Nach wie vor bilden sie aber einsame Ausnahmen in der Spiellandschaft unserer Städte und sind mancherorts wegen der Kosten auch wieder drastisch zurückgefahren worden. Sie können das Fehlen der Spielräume deshalb kaum ausgleichen. Für die Kindergartenkinder kommt dazu, dass sie oft zu wenig auf die Bedürfnisse dieser Altersgruppe abgestellt sind.

Silvia Lau/ Heide Nerger/ Bärbel Schreiber: Spielorte für Kinder. Eine Praxisanleitung zur Gestaltung öffentlicher Räume, Weinheim 1997

Neben einer Einführung werden Beispiele für gelungene Raumgestaltung dokumentiert und praktische Hilfen zur Realisierung gegeben.

Elisabeth C. Gründler/ Norbert Schäfer: Naturnahe Spiel- und Erlebnisräume planen – bauen – gestalten, Weinheim 2000

Wie Spielgelände mit Verstecken, Höhlen, Hügeln, Bachlauf, Bäumen geplant und gebaut werden können.

Lange, Udo/ Stadelmann, Thomas: Spiel-Platz ist überall. Lebendige Erfahrungswelten mit Kindern planen und gestalten, Weinheim 2001

Anleitung zu Kuppelbauten, Flechtzäunen, Laubengängen, Lehmöfen und vieles mehr, alles aus natürlichen Materialien gebaut

Lange, Udo/ Stadelmann, Thomas: Sand, Wasser, Steine. Spiel-Platz ist überall, Weinheim 2002

Anlegen von Sandlandschaften, Wasserpumpen, Kletterbergen, Höhlen und Tunnels

3.2.4 Spielen im Kindergarten

In dem Maße, in dem Kinder zu wenig und zu einförmige Spielanregungen in ihrem familiären Milieu und ihrem Lebensumfeld haben, brauchen sie eine das Spielen anregende Umgebung und spielfördernde Angebote in den Einrichtungen des Elementarbereichs.

Das "Freispiel"

In der herkömmlichen Kindergartenpädagogik wurde unterschieden zwischen pädagogisch angelegten "Beschäftigungen" und dem sogenannten "Freispiel", bei dem sich die Fachkräfte auf die Aufsicht beschränken und dem Spielbedürfnis der Kinder freier Lauf gelassen wird. Solche von pädagogischen Absichten und geplanten Aktivitäten freien Zeiträume ermöglichen es den Kindern, ihren eigenen Vorlieben nachzugehen, sich ihre Spielpartner auszusuchen und das auszutoben, was für sie gerade das entscheidende Thema darstellt. Damit eine freie Wahl auch tatsächlich erfolgt, sollten die Kinder möglichst nicht im Gruppenraum festgehalten werden, sondern die gesamte Anlage durchstreifen und nutzen dürfen.

Beobachtung und Dokumentation während des Freispiels

Die Freispielsituation in der Kita bietet besonders gute Möglichkeiten für uns, einzelne Kinder und die Interaktion in der gesamten Kindergruppe zu beobachten sowie die speziellen Interessen oder das, was die Kinder gegenwärtig beschäftigt, herauszufinden. Auch um das Spiel und die Handlungen der Kinder zu dokumentieren, ist die Freispielsituation besonders geeignet. Wann sonst haben wir die Hände frei für Videokamera oder Fotoapparat? (Lill 1998, S. 145).

Gerade am Freispiel ist abzulesen, wie viel Anregungen den Kindern geboten werden. Zwar ist es in jedem Fall zu unterstützen, den Kindern im Tageslauf des Kindergartens Zeiten zu lassen, in denen sie unabhängig von Vorgaben oder Programmen miteinander spielen dürfen. Das führt aber nicht automatisch zu einer reicheren und phantasievolleren Spieltätigkeit. Untersuchungen kindlicher Spiele während dieser Freispielphasen haben teilweise ergeben, dass die Spiele häufig recht eintönig und stereotyp ablaufen. Daraus ist nicht zu schließen, dass Kinder nicht mehr zu spielen verstünden, sondern es deutet eher darauf hin, dass sie nicht ausreichend angeregt werden, weil einerseits die Menschen in ihrer Umgebung – Kinder, Eltern, Erzieherinnen – ihr Spiel nicht fördern, andererseits ihre materielle Umgebung zu wenig Spielanreize bietet.

Vom Mitspielen

Spiel macht nur dort Spaß, wo es ernst genommen wird. Und das kindliche Spielbedürfnis leidet auch darunter, dass die Erwachsenen schmunzelnd darauf herabsehen und nur dort eingreifen, wo die Kinder sich gefährden könnten. Dagegen kann Kinder kaum etwas mehr begeistern, als wenn die Großen in aller Ernsthaftigkeit mit ihnen spielen, also ihre übergeordnete Position verlassen und sich auf das kindliche Spiel einlassen. Ob sie es mit ihrer Rolle als Erziehende nicht vereinbaren können oder ob sie befürchten, die Übersicht zu verlieren, sie verschenken sich damit eine große Chance: Der Umgang mit Kindern dieses Alters erlaubt, das Kind in sich wieder zu entdecken, die eigene Spiellust zu aktivieren, die uns nicht nur einige angenehm verbrachte Stunden beschert, sondern auch neue kreative Impulse für unser eigenes Alltagsleben geben kann. Die Rolle des Mitspielenden ermöglicht Vorschläge einzubringen, neue Spielideen und neue Handlungsmuster ins Spiel zu bringen und damit Spielrepertoire und Spielformen der Kinder zu erweitern. Und Erwachsene sind als Ideengeber durchaus begehrt: Sie können beispielsweise zeigen, wie man zu dritt einen knarrenden Schrank spielt oder vormachen, wie sich Werkzeuge in sprechende Personen verwandeln lassen.

Erwachsene als Spielpartner

Für Kinder bedeutet es sehr viel, wenn wir mit ihnen spielen, uns genauso ernsthaft aufs Spiel einlassen wie sie selbst und damit die ihnen gemäße Form der Auseinandersetzung mit der Welt und sie als Person ernstnehmen, in ihre Phantasien eintauchen, ihre Rollenwahl akzeptieren und die überlegene Erwachsenenrolle ablegen.(....)

Die Beziehung zwischen klein und groß wird intensiviert, die Kinder finden sich mehr verstanden und akzeptiert. Und wir haben die Gelegenheit, die Kinder intensiv zu erleben, zu beobachten, ihre Wünsche, Träume, Hoffnungen, Erfahrungen, Einschätzungen, ihre Sicht von Dingen und Menschen kennenzulernen.

Wir wissen im Anschluss mehr über sie und können daher auch besser und differenzierter reagieren. Insofern hat das Mitspielen eine weitergehende Bedeutung, es ist ein wichtiger Teil unserer professionellen Erziehungsarbeit (Lill 1998, s 131/32).

Zur Förderung einzelner Kinder kann es überdies sehr hilfreich sein, gelegentlich allein mit ihnen zu spielen. Das gilt insbesondere für Kinder, die abseits stehen, etwa für Migrantenkinder ebenso wie für Behinderte oder selbst Hochbegabte. Über das Spielen können solche Kinder auch leichter in die Spielgruppe integriert werden, indem ihnen die Erzieherin eine Rolle vorschlägt, die sich in das Gruppenspiel einfügt.

Natürlich ist diese individuelle Spielförderung recht begrenzt, weil kaum Zeit bleibt, sich auf einzelne Kinder einzulassen. Hier können interessierte Besucher eine große Unterstützung bedeuten, sofern mit Lust mit den Kindern zu spielen verstehen.

Daniela Braun/ Rita Greine : Mit Kindern spielen und denken, Freiburg 2000

Gemeinsame Spiele ohne Materialien, Körperliche Improvisationsspiele, Fantasiespiele, Zauberspiele

Erdmute Partecke: Kommt, wir wollen schön spielen. Praxishandbuch zur Spielpädagogik im Kindergarten, Weinheim 2002

Gruppenspiele, Spielprojekte und etwas Theorie zum Thema

Bärbel Merthan: Ganz bei der Sache. Spielideen zur Konzentrationsförderung, Freiburg 2003 (2. Auflage)

Konzentrationsspiele für einzelne Kinder und altersgemischte Gruppen

Angeleitetes Spiel

Das Mitspielen eröffnet Kindern wie Erziehenden eine weitere Perspektive: Das kindliche Spiel beschäftigt sich immer wieder mit gesellschaftlichen Bereichen, für die den Kindern die Anschauung fehlt oder deren Zusammenhänge sie nicht nachvollziehen können. Hier ist der erwachsene Mitspieler hilfreich, weil er seine bessere Kenntnis und Übersicht ins Spiel einbringen kann. Was Kinder auf diese Weise an Anregungen bekommen, werden sie dann eine ganze Zeit lang immer wieder durchspielen und damit ihr Repertoire erweitern.

Im Rahmen von geplanten Bildungsangeboten können über inszenierte Spielaktionen Zusammenhänge nachvollzogen und durchschaut werden. Die Fachkräfte geben dabei zwar Rollen und Spielszenen vor, sollten sich aber nicht auf das Anleiten beschränken, sondern gleichzeitig auch als Mitspieler agieren. Voraussetzung ist, dass die spielenden Kinder eine Vorstellung von den Zusammenhängen haben, die sie spielen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie nur nach Anweisungen spielen und ständig nachfragen: "Was soll ich jetzt machen? Was soll ich sagen?" Bezieht sich das Spiel jedoch auf Bereiche, in denen sie über Besuche und Anschauungsmaterial eine ungefähre Vorstellung haben, sind sie in der Lage, spontan zu improvisieren und sich ins Spiel einzubringen.

Das "angeleitete Rollenspiel" wurde in den 70er Jahren sehr empfohlen, um darüber Kindern gesellschaftliches Rollenverhalten spielerisch durchschaubar zu machen und rollenveränderndes Verhalten einzuüben. Diese hochgesteckten Ziele wurden allerdings selten erreicht. Einmal waren die Kinder in diesem Alter vollauf damit beschäftigt, die Rollen, die sie in ihrer Umgebung beobachteten, zu übernehmen und sich danach zu verhalten, und wehrten sich dann eher gegen die Veränderung der gerade gelernten Rollen. Andererseits führten die Spielvorlagen häufig in Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, zu denen die Kinder keinen Zugang hatten. Sie waren etwa noch vollauf damit beschäftigt, ein weibliches oder männliches Rollenverhalten zu übernehmen und zeigten sich unfähig, diese Rolle anders zu spielen, als sie das in ihrer Umgebung kennen lernten. Dass Frauen in der Arbeitswelt kaum gleiche Rechte genießen wie ihre männlichen Kollegen, war dagegen zu weit von ihrem Erfahrungshorizont entfernt. Erschwert wurden solche Spiele durch die Haltung der erwachsenen "Anleiter", die dazu neigten, den Kindern wie ein Regisseur Anweisungen zu geben, die die Spieler dann mühsam nachzumachen suchten. Damit wurde ihre Spontaneität und ihre Spielfreude beschnitten. Angeleitete Rollenspiele endeten dann oft im schieren Chaos statt über gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuklären.

Geplantes Spielen in Projekten

Von den Fachkräften geplante und angeleitete Spiele können aber durchaus den Horizont von Kindern erweitern und gesellschaftliches Verständnis vermitteln. Das wird aber kaum über isolierte Spielaktionen möglich sein. Als Teil umfassenderer Projekte, in denen das Thema über Exkursionen erkundet und über Medien anschaulich gemacht wird, werden die Verhaltensweisen und Motive der Rollenträger sowie übergreifende Zusammenhänge am ehesten über das tätige Spielen nachvollziehbar und verständlich werden. Was der Arzt bei einer Operation treibt oder woher das Geld kommt, das aus dem Bankautomaten geholt wird, werden Kinder in diesem Alter weder über die bloße Erklärung, aber eben auch nicht allein über einen gelungenen Fernsehbeitrag nachvollziehen können.

Bei geplanten Spielaktivitäten ist aber stets zu beachten, dass man niemand zum Spielen zwingen und es schon gar nicht zu einer bestimmten Uhrzeit auf den Stundenplan setzen kann. Gelenkte Spiele müssen deshalb vorgeschlagen, in allen Schritten gemeinsam besprochen und geplant werden. Wenn einzelne Kinder sich weigern, sollten sie die Möglichkeit bekommen, sich anders zu beschäftigen, denn wenn sie verpflichtet werden, werden sie voraussichtlich das Spiel nur behindern oder gar sprengen.

Gruppenspiele

Zu den überkommenen Beschäftigungen in Kindergärten gehören auch die tradierten Gruppenspiele, die wohl immer noch von vielen Erzieherinnen benützt, von andern aber auch abgelehnt werden.

Aus Untersuchungen geht hervor, Kinder würden heute nur noch etwa 5 Gruppenspiele beherrschen gegenüber circa 100, die Kindern noch vor wenigen Jahrzehnte geläufig waren. Man sollte gemeinsame Gruppenspiele schon deswegen nicht übergehen, weil sie von Kindern nach wie vor gerne gespielt werden. Sie verbinden körperliche Aktivitäten mit einem koordinierten Verhalten in der Gruppe. Dabei müssen alle eine vorgegebene Regel einhalten und diese Spiele bilden deshalb den Übergang vom freien körperlichen Ausagieren zum geregelten Verhalten der Brett- und Gesellschaftsspiele.

Indem diese Spiele in ritualisierter Form immer wieder feste sprachliche Formulierungen wiederholen, prägen sie sich zugleich als "Ohrwürmer" ein und unterstützen die Sprachbeherrschung. Das gilt noch mehr von den Liedern, die von darstellenden Gesten begleitet gemeinsam gesungen werden und dabei eine kleine ritualisierte Geschichte erzählen.

Peter Thiesen: Klassische Kinderspiele. Neu entdeckt für Kindergarten und Schule, Weinheim 2000 (3.Auflage)

Sammlung von über 500 klassischen Kinderspielen, Reimen, Rätseln und Spielideen. Mit Anmerkungen zum Spiel in alten Zeiten

Die große Sammlung der Gruppen- und Lernspiele, Seelze/ Velber 2001

Ergebnis eines Wettbewerbs zu originellen Gruppenaktivitäten aus den USA

Spielzonen im Innenbereich der Tagesstätte

Spielen braucht aber auch schlicht Raum zur Entfaltung. Wesentlich ist die Bereitstellung von ausreichendem Spielraum, sowohl im Innen- wie vor allem auch im Außenbereich der Einrichtung.

Zwar können Einrichtungen der Tagesbetreuung die bedenklichen Beschränkungen des freien Spielraums (insbesondere in Städten) nur bedingt ersetzen, sollten aber die Spielräume im Innenbereich möglichst großzügig bemessen und dem Spiel möglichst alle Räume öffnen. Oft ist schon viel gewonnen, wenn die vorhandenen Räume traditionell eingerichteter Kindergärten umgestaltet und umfunktioniert werden, die Flure oder andere Raummöglichkeiten genutzt und den Kindern zugänglich gemacht werden.

Räume können auch immer wieder in gemeinsamer Absprache mit den Kindern als anregende Phantasieräume eingerichtet werden, als Urwald mit schummerigen Pflanzendickicht und von den Bäumen hängenden Seilen als Lianen, als Berglandschaft mit Klettergelegenheiten, als Höhlenwelt im Innern eines Berges. Diese Spiellandschaften geben Phantasiewelten vor, in denen sich Wünsche und Träume entfalten und die zugleich die körperliche Beweglichkeit und Geschicklichkeit ansprechen und befördern.

Spielen im Außenbereich

Ebenso wichtig ist die Ausstattung des Außenbereichs. Hier kommt es darauf an, eine variable und gegliederte Nutzung zu ermöglichen.

Der Sand muss nicht immer im vorgefertigten Sandkasten liegen, und kann durch Steine, Kies und dergleichen Naturmaterial ergänzt werden. Neben ebenen Flächen, die zur weiträumigen Bewegung, zu Ballspielen und zum Rennen einladen, sollten möglichst auch Hügel, Senken und verschwiegene Ecken hinter Büschen oder Sichtzäunen vorgesehen werden. Es können Aufschüttungen angelegt werden, unter denen Tunnels zum Durchkriechen locken, oder es können Vertiefungen, vielleicht sogar eine regelrecht Höhle gegraben werden.

Auf die üblichen Spielplatzgeräte kann auch verzichtet werden, dagegen sollten möglichst Bäume zum Klettern herausfordern, deren Äste tief unten am Boden ansetzen. (Es müssen allerdings Hartholzgewächse sein, die der ständigen Belastung standhalten). Überhaupt sollte das Gelände, so bescheiden das auch immer ausfallen muss, doch auch ein Stück Naturerfahrung ermöglichen.

Schließlich lassen sich gerade im Außengelände vielfältige Konstruktionsspiele durchführen. Dafür sind geeignete Materialien vorzusehen, wie Bretter, Steine, Baumabschnitte und dergleichen mehr. Auch in einem reduzierten Gelände können mit den Kindern Hütten und Unterstände gebaut werden, die als Rückzugsmöglichkeiten und Spielgelegenheiten genutzt werden.

Wo immer das möglich ist, können Kinder zusammen mit den Eltern am Bau des Geländes beteiligt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, die Anlagen möglichst variabel zu gestalten, so dass sie bei veränderten Anforderungen ohne großen Aufwand umgebaut und neu gestaltet werden können.

Spielen im öffentlichen Raum

Spielaktionen sollten sich aber nicht nur auf Gebäude und Gelände der Einrichtung beschränken. Die beklagte "verinselte Kindheit" besteht ja gerade darin, Kinder auf eigene Zonen zu beschränken und sie darüber von der anschaulichen Erfahrung des gesellschaftlichen Lebensraumes auszuschließen. Wo immer das möglich ist, sollten Kindergärten diesen Raum wieder besetzen.

Das kann durch regelmäßige Exkursionen geschehen, aber auch durch Spiele, die in den Wohngebieten organisiert werden oder durch die Nutzung von Grünzonen und Ödland im Stadtgelände. In Parks, auf unbebauten Flächen im Wohngebiet (Hier wird man meist die Erlaubnis der Grundbesitzer einholen müssen) sowie in ruhigen Straßenzügen lassen sich Spielaktionen durchführen, die dann allerdings einige Anforderungen an die Planung, Vorbereitung und Aufsicht stellen. Solche Aktivitäten können deshalb nur gelegentlich stattfinden, sie haben aber eine große exemplarische Wirkung, weil sie den Kindern zeigen, dass Spielen nicht auf vorgegebene Räume beschränkt sein muss.

Darüber hinaus ist auch der "Naturraum" einzubeziehen, beispielsweise durch regelmäßige "Waldtage" oder Besuche auf dem Land, wo viele elementare Erfahrungen gemacht werden können, die die städtische Umwelt nicht mehr bereit hält.

3.2.5 Zum Spielzeug im Kindergarten

In Darstellungen zur Geschichte des Spielzeugs kann man immer wieder lesen, Spielzeug habe es schon immer und in allen Kulturen gegeben. Das ist jedoch in dieser Form nicht zutreffend. Sieht man sich historisches Spielzeug oder die in Stammesgesellschaften üblichen Spielgegenstände an, dann handelt es sich um Bewegungsspielzeuge wie Reifen und Steckenpferde oder um verkleinertes Gerät, an dem die Kinder die Tätigkeiten der Erwachsenen nachvollziehen konnten, also Puppen als Kinderersatz für die Mädchen oder verkleinerte Werkzeuge und Waffen für die Jungen. Es handelt sich um Gerätschaften, die man als "Funktionsspielzeuge" bezeichnen kann.

Die Funktionen industrieller Spielwaren: Identifikation und Konsum

Modernes Spielzeug, wie es seit dem 18. Jh. üblich ist, unterscheidet sich davon in zwei wesentlichen Punkten: Es wird nun nicht nur industriell gefertigt und massenweise vertrieben, es soll die Spielenden auch in fiktive Traumreiche entführen. Kinder spielen nun mit Indianerfiguren, weil sich daran der Ausbruchstraum des Indianerbuchs heftet, oder sie fliegen mit Plastikraketen in den Weltraum der trivialen Science-Fiction-Filme. Das Spielzeug, das seine Vorlage getreu nachbildet, wird darum wichtiger als die offenen und ständig wechselnden Bedeutungen, die Spielrequisiten im freien Spiel annehmen. Die Nachbildung stärkt zwar die Identifikation mit den Rollen und Tätigkeiten, die spielend realisiert werden, sie behindert aber die freie und selbsttätige Zuweisung von Bedeutungen. Es geht beim Spielen aber gerade darum, Handlungen an stellvertretenden Tätigkeiten darzustellen und dazu Gegenstände nach Bedarf mit neuen Bedeutungen zu belegen. Wo Spielzeug den gemeinten Gegenstand in Miniatur nachzubilden sucht, droht es die offene Spielverwendung zu behindern. Auch wenn Kinder sie oft gegen den Strich zu benutzen verstehen, kann Spielzeug die Spielfähigkeit beschränken.

Zugleich sind aber Spielzeuge auch Konsumartikel und ihr Besitz bezeichnet den Status der Familie und die Wertschätzung, die die Kinder in der Familie genießen. Von daher möchten Kinder durchaus viel Spielzeug besitzen, und diese Tendenz wird noch durch den Medienverbund bestärkt, bei dem mediale Erzählungen an Spielwaren gekoppelt werden und deren Besitz dann für das Selbstbewusstsein unabweislich wird. Das führt im Ergebnis zu den mit Spielzeugen überladenen Kinderzimmern, von denen aber nur ein bescheidener Bruchteil tatsächlich zum Spielen genutzt wird, und das auch oft nur, solange sie neu sind. Am ausdauerndsten wird mit den Spielwaren gespielt, die weniger festgelegt sind und mit denen sich immer neue Bedeutungen herstellen lassen, zum Beispiel mit Konstruktionsspielzeug wie Lego oder mit der Kiste, in der ein Sammelsurium von Figuren zu entdecken ist, von Weltraumfahrern bis zu Dinosaurieren.

Der "spielzeugfreie Kindergarten"

Die mit Spielzeug überfrachteten Kinderzimmer haben zur Konzeption sogenannter "spielzeugfreier Kindergärten" geführt, in denen statt der gängigen Spielzeugsammlung ansprechende Materialien angeboten werden, die sich im Spiel beliebig verwenden lassen. Die Kinder sind darauf angewiesen, die Spielanwendungen selbst zu finden, und es zeigte sich, dass das ihre Spiele keineswegs behinderte, sondern eher beförderte. Die Gegenstände müssen erst auf ihre Verwendbarkeit für die Spielabsichten ausgesucht und ihnen Spielbedeutungen zugewiesen werden, was die gegenseitige Verständigung zwischen den Spielenden erfordert.

Ingeborg Becker-Textor/ Elke Schubert/ Rainer Strick (Hg.): Ohne Spielzeug – "Spielzeugfreier Kindergarten" – Ein Konzept stellt sich vor, Freiburg 1999 (2. Auflage)

Sammelband zu verschiedenen Aspekten des Themas, mit Praxis- und Erfahrungsberichten

Vielseitig verwendbare Spielwaren

Die Frage, ob überhaupt kommerzielles Spielzeug in den Kindergarten gehört, ist aber wohl etwas zu pauschal gestellt. Die Antwort hängt ganz sicher auch vom Einzugsbereich der Einrichtung und der sozialen Zusammensetzung der Kinder ab. Wo das gesellschaftsübliche Spielzeug in den Elternhäusern nicht selbstverständlich ist, sollte der Kindergarten zumindest eine gute Auswahl an kommerziellen Spielsachen anbieten.

Ein weiterer Gesichtspunkt bezieht sich auf die Spielmöglichkeiten, die die Spielwaren vorsehen. Sicher macht es keinen Sinn, ferngesteuerte Spielautos anzuschaffen, die neben dem Fernsteuern nur noch zum Zerlegen auffordern und sowieso bald kaputt sind. Es gibt aber eine ganze Reihe von Spielwaren, die variable Spielmöglichkeiten eröffnen wie beispielsweise der klassische Puppenkasten mit einem gutem Sortiment Handpuppen oder Konstruktionsspielzeuge, die aus frei zusammensetzbaren Bauteilen bestehen.

Materialsammlung als Spielfundus

Aber auch im Kindergarten, der ein ausgesuchtes Angebot kommerzieller Spielzeuge anbietet, sollte daneben reichlich alltägliches Material zur freien Verfügung stehen, aus dem sich die Kinder bedienen können, um ihre Spiele selbst zu gestalten. Und dieses Material muss nicht den Kriterien entsprechen, die für kommerzielle Spielwaren gelten. Deren glatte Oberflächen und ein Design, das jede kleine Verletzung von vorneherein auszuschließen sucht, eignet sich wenig, um den Erfahrungshunger von Kindern zu stillen und die vielfältigen Eigenschaften des Materials zu erkunden. Alltagsgegenstände, ausrangierte Geräte, gefundene Naturmaterialien und dergleichen regen die Spielphantasie nachhaltiger an und führen zu intensiverem Spielen als viele kommerzielle Spielwaren. In einer Verkleidungskiste kann gebrauchte Kleidung gesammelt werden. Ein Sortiment großer farbiger Tücher ist ebenso gut zum Theaterspielen wie zum Bau von Höhlen und Spielhäusern zu gebrauchen. Obendrein bekommt man solches Material im allgemeinen umsonst, der schmale Etat lässt sich für sinnvollere Ausgaben verwenden. Und das gesammelte Material steht neben dem freien Spiel zugleich für Projekte und Bildungsangebote zur Verfügung.

Die unerschöpflichen Lerneffekte des Spiels

Die Bedeutung des Spiels für die Welterfahrung und das Lernen kann in den Jahren, in denen Kinder den Kindergarten besuchen, kaum überschätzt werden. Spielgelegenheiten und Spielanregung in allen denkbaren Formen gehören deshalb zu den entscheidenden Forderungen an eine Bildung im Elementarbereich.

Eine der zahlreichen "Kompetenzen", die im lustvollen Spiel ganz nebenbei gefördert werden, liegt in einer ausgeprägteren Sprachbeherrschung. Spielfreudige Kinder lernen meist rascher sprechen und zeigen sich gesprächsbereiter, und das ist kaum überraschend: Beim Spielen wird ständig mit Symbolen hantiert, werden den Symbolen Bedeutungen unterlegt, und dieses im Spiel gelernte Symbolverständnis lässt sich dann auf die sprachlichen Zeichen übertragen.


11.10.2004